Heute vor 120 Jahren, am 12. Januar 1904, erhob sich die Bevölkerung der Herero in einem Massenaufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft.
Dem Aufstand waren zwei Jahrzehnte brutaler kolonialer Unterdrückung vorausgegangen. 1884 wurde auf dem Staatsgebiet des heutigen Namibia unter dem Namen “Deutsch-Südwestafrika” ein offizielles Schutzgebiet des Deutschen Reiches errichtet. In den Jahren danach wurde dieses immer stärker zur Kolonie ausgebaut. Über 15.000 europäische Siedler:innen kamen ins Land. Die deutsche Kolonialverwaltung regierte mit äußerster Brutalität und dem Prinzip der Rassentrennung. Die einheimischen Stämme wurden vollständig entrechtet und gezwungen ihr Land für die deutsche Kolonialwirtschaft zu räumen. Immer mehr Boden eigneten sich die Siedler:innen unter Gewalt an und bedrohten so die Lebensgrundlagen der halbnomadischen Herero.
Angesichts der zunehmend unhaltbaren Zustände und der existenziellen Bedrohung ihres Lebens begannen die Herero am 12. Januar eine Widerstandskampagne. Militärstationen wurden belagert, Bahnlinien blockiert, Handelsniederlassungen überfallen. Die deutschen Kolonialtruppen wurden überrascht und in die Defensive gedrängt.
Ab Mai wurde das militärische Kommando der deutschen Kolonialeinheiten auf Generalleutnant Lothar von Trotha übertragen. Dieser setzte gezielt auf die Methode des Vernichtungskriegs. Mit brutalster Härte gingen die Kolonialtruppen nun gegen die Aufständischen vor. Im August 1904 hatte von Trotha die Herero eingekreist und einen Befehl zu ihrer Vernichtung gegeben. Den Verfolgten blieb nur noch eine Wahl: Im deutschen Gewehrfeuer sterben oder Flucht in die lebensbedrohliche Omaheke-Wüste. Nur wenige konnten den Kessel der Deutschen durchbrechen, die meisten verhungerten und verdursteten qualvoll. Die wenigen Überlebenden wurden nach der Niederschlagung des Aufstandes in Konzentrationslagern interniert und von den Deutschen zur Zwangsarbeit herangezogen. Die koloniale Unterdrückung unter der Fahne des Deutschen Reiches sollte noch bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs andauern.
In der Geschichtsschreibung der BRD wurde die Geschichte deutscher Kolonialherrschaft lange von bürgerlichen Historiker:innen entweder kaum beachtet, heruntergespielt oder gerechtfertigt. Auch heute noch wird diese Periode des deutschen Imperialismus im Schulunterricht nicht in ihrer tatsächlichen Relevanz und Brutalität dargestellt. Den Schüler:innen wird gesagt, im Gegensatz zu Großbritannien oder Frankreich sei das Deutsche Reich doch nur ein “Nachzügler” mit kleinen, unbedeutenden Kolonien gewesen.
Das passt zur Staatsräson der Bundesrepublik, die nach 110 Jahren Kampf der Herero um Wahrheit und Gerechtigkeit erst seit 2015 in kleinen Schritten zugab, was nicht mehr zu leugnen war: Die Niederschlagung des Herero-Aufstands war der erste deutsche Völkermord des 20. Jahrhunderts! An dieses Eingeständnis war jedoch ein Vorbehalt geknüpft: Daraus leiten sich keine Rechtsfolgen für den heutigen deutschen Staat ab. Noch immer kämpfen die Nachkommen der Herero daher um volle Anerkennung und Reparationen, wobei der deutsche Staat mit bedeutungslosen Gesten, kleinen symbolischen Zahlungen und knallharter Realpolitik alles versucht, das zu verhindern. Hierbei ist auch die Rolle des bürgerlichen namibischen Staates nicht zu vergessen, der sich als Vertretung der Interessen der Herero aufspielt und diese gleichzeitig und wenig überraschend verrät.
Die Geschichte des Aufstands der Herero, seiner Niederschlagung und seiner völlig unzureichenden Aufarbeitung zeigt uns gleich mehrere Dinge. Sie machen es wichtig, dass wir auch heute weiter darüber sprechen: Die deutsche Herrschaft in Südwestafrika ist ein eindrückliches Beispiel der Brutalität – spezifisch deutscher – kolonialer Unterdrückung. Der aufkeimende Kapitalismus spannte vom 17. bis 20. Jahrhundert ein Netz der Herrschaft und Ausbeutung über die Bevölkerungen des globalen Südens. Der Aufstand der Herero wie viele antikoloniale Aufstände vor ihm und nach ihm bewies, dass dennoch die unterdrückten Bevölkerungen nicht dazu verdammt sind, diese Herrschaft zu akzeptieren. Vielerorts erhoben sie sich, um für ihre Befreiung zu kämpfen. Und wie in vielen anderen Regionen reagierten die Kolonialherren darauf mit noch brutalerer Gewalt. Dass die globalen Machtverhältnisse, die die deutsche Herrschaft in Südwestafrika möglich machten, auch heute noch in ihren Grundzügen fortbestehen, führt uns die heutige Politik der europäischen Staaten vor Augen. Der afrikanische Kontinent wird weiter von Konzernen geplündert sowie politischen und militärischen Interventionen unterworfen. Dass die Nachkommen der Herero heute noch immer um Gerechtigkeit kämpfen, ist ein eindrückliches Zeugnis, wie wenig sich geändert hat. Es sollte uns – als Menschen die im Herzen der imperialistischen Bestie leben und kämpfen – gleichzeitig auch als Auftrag dienen, unseren Kampf für den Sturz dieser Machtverhältnisse voranzutreiben und zu intensivieren.
Im Gedenken an die Opfer des Völkermords!
Wahrheit und Gerechtigkeit für die Herero!
Nieder mit dem deutschen Imperialismus!