Obwohl Lützerath bereits geräumt ist, ist der Kampf um das kleine Dorf im Rheinland noch nicht vorbei – so erklären es zumindest manche Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung. Sie treibt der Optimismus, vor allem aber wohl die fehlende Bereitschaft, die Niederlage anzuerkennen. Mit einem Blick auf die Übermacht des Staates und das Festhalten der Parteien am Bündnis mit dem Kohlekapital in Form von RWE müssen wir jedoch feststellen, dass die bittere Wahrheit lautet: Wir haben den Kampf um Lützerath längst verloren. Und selbst wenn es gelungen wäre, Lützerath zu verteidigen, hätte Deutschland niemals seine Klimaziele oder die 1,5°-Grenze eingehalten.
Denn Lützerath war am Ende immer nur ein Symbol für die zerstörerische Realität dieses Systems. Und dieses Symbol ist jetzt Geschichte. In Erinnerung bleiben Aspekte gelebter Selbstorganisation im Camp, die Besuche internationale Delegationen aus aller Welt, Momente der Solidarität und des Widerstands während der Verteidigung und die brutale Gewalt des Staates, der dem Kapital ein weiteres Mal den Weg frei geprügelt hat. Wir stehen in unverbrüchlicher Solidarität mit allen, die das Dorf bis zuletzt verteidigt haben, die verletzt oder verhaftet wurden und möchten uns dem Spendenaufruf aus der Bewegung anschließen. Jetzt ist es wichtig, dass wir zusammenzustehen gegen jede staatliche Repression.
Jetzt ist aber auch die Zeit gekommen, in der wir als Klimabewegung innehalten, unsere Niederlage ehrlich anerkennen, sie und unsere Situation kritisch analysieren und davon ausgehend gemeinsame Kurskorrekturen vornehmen müssen. Denn darüber, dass wir als Bewegung eine Niederlage erlitten haben, können auch die Mobilisierung zehntausender Menschen gegen die Räumung, militante Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht, die riesige mediale Aufmerksamkeit und das parteiinterne Gezanke der Grünen nicht hinwegtäuschen. Das sind alles durchaus positive und wichtige Aspekte, die bereits an vielen Stellen beleuchtet wurden, zum Beispiel von Carolin Schiml auf anarchismus.de. Am Ende haben wir Lützerath aber trotzdem verloren. Ein einfaches “Weiter so” darf es nicht geben.
Wir begrüßen daher sehr, dass verschiedene Teile der Klimabewegung über strategische Perspektiven für die Zukunft der Bewegung ins Gespräch kommen wollen. Mit diesem Text wollen wir als anarchakommunistische Plattform einen Beitrag aus einer klassenkämpferischen und anarchistischen Perspektive zu dieser Debatte beisteuern. Konkret wollen wir unseren Blick auf die aktuelle Lage und Strategie der Klimabewegung darlegen, ein kritisches Fazit zum Kampf um Lützerath als Symbol ziehen und mögliche Perspektiven für die Zukunft der Bewegung formulieren. Wir wollen aber auch aufzeigen, wo sich für uns Fragen ergeben, auf die wir (noch) keine Antworten haben.
Unser Ziel ist es dabei nicht, all die mutigen Menschen, die für Lützerath unter hohem Einsatz der eigenen Zeit, Kraft und auch ihrer körperlichen Unversehrtheit gekämpft haben, vor den Kopf zu stoßen. Viele von uns haben sich selbst in Lützerath oder bei sich vor Ort an diesem Kampf beteiligt. Stattdessen geht es uns darum, in der gemeinsamen Debatte einen Weg zu finden, der uns als Bewegung stärker macht und uns aus den kommenden Auseinandersetzungen mit Kapital und Staat siegreich hervorgehen lassen wird. Denn diese Kämpfe werden zweifelsohne kommen.
Wir würden uns über (gerne kritisches) Feedback und Antworten aus anderen Teilen der Klimabewegung und der revolutionären Linken sehr freuen. Lasst uns miteinander ins Gespräch kommen!
Bestandsaufnahme: Die Klimabewegung am Scheidepunkt
Etwa viereinhalb Jahre ist es her, da spitzte sich unweit von Lützerath der Kampf um den Hambacher Forst zu, den Klimaaktivist:innen lange besetzt gehalten hatten. In einer gigantischen Räumungsaktion versuchten Polizei und RWE die Besetzung zu räumen und scheiterten letztlich am einem gerichtlich verhängten Räumungsstopp. Der Entscheidung des Gerichts waren Massenproteste am Forst und viele militante Aktionen der Besetzer:innen voraus gegangen. Die Rettung des Hambacher Forsts stellte einen seltenen Erfolg einer fortschrittlichen sozialen Bewegung in der ansonsten eher bewegungsarmen BRD dar.
Der erfolgreiche Kampf um den Hambacher Forst stellte jedoch nur den Auftakt dar für eine neue Hochphase ökologischer Proteste, die im Jahr darauf ihren Anfang nahm. In vielen Ländern weltweit, besonders stark aber hier bei uns, begannen in den ersten Wochen und Monaten des Jahres 2019 Schüler:innen unter dem Namen Fridays For Future regelmäßig ihren Unterricht zu bestreiken. Die Proteste entwickelten sich schnell zu einem Massenphänomen, das weit über die Kreise der bisherigen Umweltbewegung hinaus ging. Im September 2019 erreichten die Schulstreiks ihren Höhepunkt als etwa 1,5 Millionen Menschen sich an über 500 Mobilisierungen im ganzen Land beteiligten. Einmal mehr hatte der Umweltprotest, der hier bei uns seit Jahrzehnten Tradtion hat, eine neue Hochkonjunktur erreicht. Danach verringerte sich die Zahl der regelmäßigen Schulstreiks deutlich, die Größe der Mobilisierungen ging merklich, wenn auch auf einem hohen Niveau, zurück. Das Einsetzen der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 verstärkte diese Entwicklung. Fridays For Future büßte einen Großteil ihrer vorherigen Dynamik ein. Diese Schwächung setzt sich bis heute fort. Da Fridays For Future das mediale und vielerorts auch organisatorische Zugpferd der gesamten Klimabewegung ist, wirkt sich diese Schwäche auf die gesamte Bewegung aus.
Gleichzeitig können wir feststellen, dass sich mit dem Entstehen von Fridays For Future viele junge Menschen neu fortschrittlich politisiert und in den letzten Jahren weiter radikalisiert haben. Zudem hat die bereits existierende radikale Linke einen stärkeren Fokus auf den Klimakampf gelegt. Während also die Klimabewegung in ihrer Gesamtheit schwächer wurde, wurde ihr radikaler Teil im Verhältnis stärker. Seit dem Ende der Schulstreiks als reales Druckmittel der Bewegung hat sich dieser radikale Teil neue Aktionsformen angeeignet beziehungsweise bereits vorhandene gestärkt. Das zeigt sich in größeren Aktionen des Aktionsbündnisses Ende Gelände, das für eine antikapitalistische Rhetorik und Massenaktionen des zivilen Ungehorsams steht, und in etlichen lokalen Besetzungen von Wäldern oder Zonen, mit denen Widerstand gegen konkrete zerstörerische Infrastrukturprojekte und/oder Waldrodungen geleistet werden soll. Beispielhaft genannt seien hier der Dannenröder Forst in Hessen, durch den die A49 gebaut werden soll oder der Osterholz bei Wuppertal, der dem Abraum eines Kalkwerkes weichen soll. Auch Lützerath, das für die Förderung von Braunkohle abgerissen werden soll, ist ein Beispiel für diese Strategie.
Der zentrale Grund für die verstärkte Hinwendung von Teilen der Klimabewegung zu dieser Strategie dürfte sein, dass viele durch Fridays For Future politisierte Menschen im Zuge der letzten Jahre erkannt haben, dass ihr Protest die Politik keineswegs dazu hat bewegen können, das Richtige für das Klima zu tun. Immer noch werden Klimaziele nicht eingehalten, immer noch machen die Parteien von CDU bis Grünen Deals mit den Klimakillern in den Chefetagen. Hier verbirgt sich ein wichtiger Ansatzpunkt anarchistischer Kritik, der auch erklären kann, warum viele der Besetzungen anitautoritär ausgerichtet sind: Wenn die Politik nicht hilft, dann muss man es selbst anpacken und durchsetzen. Besetzungen sind ein Mittel der Direkten Aktion, genauso wie die Massenaktionen von Ende Gelände. Direkte Aktion bedeutet die unmittelbare Durchsetzung der eigenen Forderung aus eigener Kraft in Abgrenzung zum Appell an einen Staat oder einen Chef, der einem gibt, was man verlangt. Das ist ein Kerngrundsatz des Anarchismus.
Ein weiterer Grund für diese Strategie dürfte sein, dass die Ziele des eigenen Handelns deutlich konkreter zu Tage treten. Das Klima zu retten ist unfassbar schwierig und komplex, verlangt notwendigerweise gesamtgesellschaftliche Veränderung (egal wie radikal man diese denkt). Der Kampf um einen bedrohten Wald oder ein Dorf ist konkret und weniger komplex. Kann man die Besetzung verteidigen hat man gewonnen, wenn nicht hat man verloren. Wenn man gewinnt, hat man einen merklichen Sieg errungen, die Bäume oder Häuser bleiben stehen. Es sind Ziele, die, wenn wir auf das Beispiel des Hambacher Forst zurückblicken, tatsächlich erreichbar scheinen und es teilweise sogar sind. Ähnlich verhält es sich mit den Aktionen von Ende Gelände. Ist das Kohleförderband oder der Bagger blockiert, dann hat man was geschafft; konkrete Mengen an CO2 wurden nicht ausgestoßen. Ein Erfolg in einer Welt, die sonst für eine Klimabewegung wenig Grund zur Freude bietet.
Das Mittel der Besetzung und des zivilen Ungehorsams im Rahmen von Massenaktionen ist also naheliegend angesichts der Entwicklung der Bewegung und aus anarchistischer Perspektive eigentlich erstrebenswert: Direkte Aktion bedeutet Selbstermächtigung und schwächt das falsche Vertrauen in die Institutionen, Besetzungen bieten Raum für Versuche der Selbstverwaltung und statt abstrakt zu diskutieren oder Forderungen an Politiker:innen zu stellen, wird konkret für ein Ziel gekämpft.
Diese neue Strategie der Klimabewegung bringt jedoch genauso auch Nachteile mit sich. Der Schulstreik – egal wie systemtreu, institutionsbejahend und reformistisch er ausgerichtet ist – trägt eine gesamtgesellschaftliche Perspektive in sich. Es geht um eine Änderung der Klimapolitik, gegen die Klimakrise als Ganzes. Die Besetzung eines Waldes dagegen ist in ihrer Perspektive sehr begrenzt. Zwar sehen sich viele Besetzungen richtigerweise und berechtigterweise als Teil einer globalen Bewegung, doch erstmal geht es um die eigenen Bäume vor Ort. Auf deren Verteidigung konzentriert man sich und dabei rückt die gesamtgesellschaftliche Perspektive oft logischerweise in den Hintergrund.
Das Mittel des Schulstreiks ist noch dazu extrem niedrigschwellig. Der Weg raus aus der Schule zusammen mit den eigenen Mitschüler:innen auf einen der zentralen Plätze der Stadt ist ungemein einfacher als in einen Wald irgendwo abseits der Städte. Selbst wenn man dort ist, ist eine Teilnahme am Kampf nicht niedrigschwellig möglich. Besetzungen erfordern hohen Zeitaufwand und persönliche Risiken, die für viele Menschen nicht in Frage kommen – vor allem nicht für Menschen, die lohnarbeiten müssen. Besetzungen und auch strafrechtlich relevante Massenaktionen bauen daher immer Barrieren auf, die viele Menschen nicht überwinden können. Sie stellen damit zumeist objektiv eine Abgrenzung von weiten Teilen der Bevölkerung dar – selbst wenn man dies gar nicht will und selbst wann man den Kontakt zur Bevölkerung aktiv sucht wie das in vielen Besetzungen auch getan wird; oft sogar mit einigem Erfolg. Es ist kein Zufall, dass Besetzungen oft eigene kleine Subkulturen mit eigenen Codes herausbilden, die von außen nur schwer erschlossen werden können.
Hinzu kommt: Obwohl die konkreten Kämpfe leichter gewinnbar erscheinen als der allgemeine, große Kampf für Klimagerechtigkeit, sind sie oft realistisch betrachtet nicht zu gewinnen. Die Wahrscheinlichkeit, als relativ kleine Gemeinschaft ein kleines besetztes, abgelegenes Gebiet gegen die gut ausgerüstete Polizei auch nur für eine kurze Dauer erfolgreich zu verteidigen, ist zumeist verschwindend gering. Ohne die Gerichte wäre auch der Hambacher Forst an diesem Problem gescheitert. Der Dannenröder Forst ist daran gescheitert, der Osterholz auch, Lützerath auch. Das führt dazu, dass man immer wieder unfassbar viel Zeit und Energie in kaum abwendbare Niederlagen investiert, die noch dazu immer wieder aufs Neue demoralisieren. Dem wiederum kann schließlich nur mit falschem Optimismus über künftige Erfolge Abhilfe geschaffen werden – ganz nach dem Motto “Nächstes Mal klappts bestimmt”.
Diese Dynamik aus immer wieder aufeinander folgenden, wellenartigen Zuspitzungen einzelner Kämpfe, sollten wir auch aus einer feministischen Perspektive kritisch sehen: Besetzungen stellen zumeist aufgrund der Unmittelbarkeit der Konfrontation einen Raum dar, in dem emotionale Arbeit zu kurz kommt. Die Höhepunkte solcher Kämpfe sind zudem immer Momente, die bei Aktivist:innen hohe emotionale Belastung hervorrufen. Einerseits durch das eigene Narrativ der Bewegung, dass das der entscheidende Kampf wird und wenn sich nicht jede:r anschließt, alles verloren ist und es keinen Sinn mehr macht weiterzukämpfen.
Andererseits weil die direkte Auseinandersetzung mit dem staatlichen Gewaltapparat und der Verlust des eigenen, vorübergehenden Zuhauses bei der Räumung einer Besetzung potentiell traumatisch sein kann – gerade für junge und unerfahrene Menschen, die oft in diesen Kämpfen mitwirken.
Nachdem der Höhepunkt überschritten ist, bleiben oft maßlos überforderte Awareness- und Out-of-Action-Strukturen zurück und nicht selten eine ganze Reihe an Aktivist:innen, die nicht mehr aktiv sein kann oder will. Das ist keine nachhaltige Strategie.
Veränderung durch Kampf um Symbole?
Das größte Problem ist bei all dem aber noch gar nicht angesprochen: Die besetzten Wälder und Zonen genauso wie die zeitlich begrenzten Blockaden von Ende Gelände sind in erster Linie Symbole von Widerstand gegen die Klimakrise und die Politik, die sie macht. Es wäre falsch, die Strahlkraft solcher Symbole zu unterschätzen. Am Beispiel des Hambacher Forsts, aber auch von Lützerath, können wir sehen, dass sie Menschen mitreißen, zu einer ungeheuren Sammlung von Kräften beitragen können und dass sich so – wenn auch für kurze Zeit – reale Gegenmacht an ihnen entfalten kann. Selbst im Fall von Niederlagen können sie zu einer notwendigen Radikalisierung neuer Teile der Bewegung führen. Im Kontext der brutalen Räumung Lützeraths wurde darauf immer wieder berechtigterweise hingewiesen. Lützerath wird langfristig die längst überfällige Desillusionierung weiter Teile der Klimabewegung mit der angeblichen grünen “Klimapartei” und dem Kapitalismus, den sie stützt, verschärfen. Das ist gut, sehr gut sogar. Es sollte unser Ziel sein, diese Radikalisierung und Mobilisierung, die von Lützerath ausging, in langfristige Organisierung zu übersetzen. Die Organizing Calls von Lützerath lebt! gehen genau in die richtige Richtung.
Und doch wäre es falsch, die Bedeutung von Symbolen für den Kampf gegen die Klimakrise zu überschätzen. Denn diese Wälder und Dörfer besitzen für die große Frage, ob und wie der Klimawandel abgeschwächt werden kann, eine verschwindend geringe Bedeutung. So bitter es klingt: Ein paar gerettete Wälder und Dörfer oder ein für ein paar Stunden stillstehendes Förderband mehr oder weniger halten keine Entwicklung auf, die nach den Bewegungsgesetzen des weltumspannenden kapitalistischen Wirtschaftssystems unausweichlich ist.
Dennoch setzen weite Teile der Klimabewegung – auch viele, die sich als antikapitalistisch verstehen – auf einen Ansatz, der den Kampf um Symbole bewusst in den Mittelpunkt rückt. Sie begründen das damit, dass es darum gehe, mittels dieser Kämpfe, die Widersprüche in diesem System hervorzuheben und zu vertiefen. Wichtiger Bezugspunkt dabei ist die Kategorie des Diskurses. Angelehnt an Theoretiker:innen wie Michel Foucault soll der gesellschaftliche Diskurs geprägt und in eine kritische Richtung verschoben werden.
Gesellschaftliche Diskurse sind nicht egal und dürfen nicht ignoriert werden. Sie können Einfluss nehmen auf gesellschaftliche Entwicklungen. Das hat die erfolgreiche Agitation der extremen Rechten in den vergangenen Jahren im negativen Sinne eindrücklich bewiesen. Es lohnt sich durchaus, um Diskursverschiebungen zu kämpfen. Für eine revolutionäre Linke wie auch für die Klimabewegung im Allgemeinen können Diskursinterventionen jedoch immer noch ein Werkzeug unter vielen sein.
Denn Diskursverschiebung alleine verändert keine Gesellschaft und stürzt auch nicht den Kapitalismus. Dass Teile der Klimabewegung und der revolutionären Linken ihr trotzdem eine so große Bedeutung zumessen, ist darauf zurückzuführen, dass es beiden seit langem an einer gesamtgesellschaftlichen Strategie zu tatsächlicher, struktureller Veränderung mangelt. So hofft man stattdessen darauf, dass der Diskurs sich verschiebt und dann die Politik vor sich hertreibt. Doch das ist kaum mehr als eine neu aufgewärmte Version der ebenfalls falschen Parole “Wir streiken bis ihr handelt”. Das mit dem Handeln müssen wir immer noch selbst machen.
Das Besondere an Lützerath ist vielleicht, dass dieses Mal in der Klimabewegung ein Diskurs vorgeherrscht hat, dass es eben um mehr geht als nur um die Diskursverschiebung. “Lützerath ist die 1,5°-Grenze” war von Greenpeace, über Luisa Neubauer bis rein in die radikale Linke unter Bezugnahme auf einige wissenschaftliche Studien zu hören. “Es geht um was.” schrieb die Interventionistische Linke. Gemeint war damit, dass das Einhalten der deutschen Klimaziele mit dem Abbagern der Kohle unter Lützerath endgültig unmöglich wird. Das ist zweifellos richtig und doch verwundert, wie stark dieser Punkt auch unter Antikapitalist:innen betont wurde. Als sei es zu irgendeinem Punkt realistisch gewesen, dass Deutschland seine Klimaziele wirklich einhält. Immerhin reden wir von einem kapitalistischen Staat, dessen Wirtschaft auf Profit statt auf Klimaschutz ausgerichtet ist. Das Narrativ von der 1,5-Grad-Grenze wurde vermutlich bewusst übernommen, quasi als ein letzter Strohhalm, um mehr Menschen für den Kampf um Lützerath zu mobilisieren. Das ist verständlich. Aber es bringt eben Probleme mit sich. Denn dieses Narrativ verdeckt, dass eben das 1,5°-Ziel alles andere als realistisch war und ist. Und selbst wenn es das wäre, so wären da immer noch etliche andere Staaten weltweit, die ihre Klimaziele reißen. So nachvollziehbar das Greifen nach dem letzten Strohhalm auch ist, so notwendig ist doch ebenso eine Analyse der realen Begebenheiten. Denn nur so lässt sich ein Kurs für das eigene Handeln ableiten.
Die wieder einmal bittere Wahrheit ist: Eine 1,5°-Grenze hat es nie gegeben, nicht in Lützerath und nicht anderswo. Auch wenn es nicht schön zu hören ist. Deutschland wird seine Klimaziele verfehlen, die meisten anderen Staaten auch. Die globale Erwärmung wird darüber hinausgehen, die Situation wird sich erstmal weiter verschlechtern mit massiven Auswirkungen für die arbeitenden und armen Menschen auf der ganzen Welt, insbesondere natürlich im globalen Süden. Wir dürfen als Klimabewegung und revolutionäre Bewegung diese kommenden Verwerfungen nicht ignorieren, sondern einen klaren Blick der Situation gewinnen und in unsere Analysen, unsere Öffentlichkeitsarbeit und strategischen Überlegungen miteinbeziehen. Es muss jetzt und in den kommenden Jahrzehnten darum gehen, den Klimawandel so gut es geht zu bremsen und gleichzeitig seine bereits eintretenden Konsequenzen einzudämmen. Denn diese werden wieder einmal auf dem Rücken der unteren Klassen ausgetragen werden, wie wir es jetzt bereits sehen.
Das Eindämmen der Krise und ihrer Folgen wird aber nur durch die Überwindung des Kapitalismus funktionieren. Diese wiederum wird nicht nur an all den symbolträchtigen Wäldern und Dörfern verhandelt. Die Klimakrise wird jeden Tag an unzähligen völlig uninteressanten, unspektakulären Orten überall auf der Welt gemacht. Eine Bewegung, die ihr entgegenhalten möchte, muss an all an diesen Orten ansetzen.
Wir müssen uns eingestehen, dass die bisherige Strategie der Klimabewegung nicht funktioniert. Nicht weil sie Lützerath nicht retten konnte, sondern weil auch ein Dutzend gerettete Dörfer den Klimawandel nicht aufhalten. Stattdessen müssen wir über eine umfassende Kurskorrektur diskutieren. Im folgenden möchten wir unsere Perspektive für eine Zukunft der Klimabewegung umreißen.
Eine anarchistische Perspektive für die Zukunft der Klimabewegung
Eine eigenständige Klimabewegung wird auch nach der Niederlage von Lützerath weiter existieren. Und das ist gut so, denn sie bildet einen unersetzbaren Raum für Theoriebildung und die Entfaltung neuer Taktiken. Zudem bildet sie einen Angelpunkt für den ideologischen Klassenkampf, da sie den Widerspruch zwischen einer lebenswerten Zukunft auf unserem Planeten und der Realität des Kapitalismus offenlegt. Es wird auch weiterhin Symbole geben, um die sich die Klimabewegung sammelt und kämpft. Auch daran ist nichts schlechtes. Im Gegenteil, solche Kämpfe erfüllen durchaus einen Zweck. Eine starke Klimabewegung kann aktiv selbst Kämpfe führen und symbolische Orte sind hierfür gute Schauplätze. Sie kann und muss bis zu einem gewissen Grad selbst Gegenmacht entfalten. Dennoch können Symbole und die Diskurse, die um sie entstehen, nicht alleinig im Mittelpunkt des Kampfs gegen diese Klimakrise stehen und die Bewegung sollte sich ihre Beschränktheit bewusst machen.
Weil die Klimakrise notwendige Folge der kapitalistischen Produktionsverhältnisse ist, muss unsere Strategie an der Frage der Produktionsverhältnisse ansetzen. Wir dürfen diese Frage aber nicht nur abstrakt stellen, sondern vor allem durch praktische Arbeit dort beantworten, wo sich die Produktionsverhältnisse manifestieren: In den Betrieben. Hier findet die klimaschädliche Produktion statt. Die Belegschaften in den Betrieben haben also grundsätzlich auch die Macht, die Produktion zu stoppen und sie entweder für immer abzuschalten im Sinne einer notwendigen Deindustrialisierung oder in eine andere Art der Produktion zu überführen.
Doch nur weil die Belegschaften grundsätzlich über diese Macht verfügen, bedeutet das nicht, dass sie sie auch einsetzen. Die Kooperation der Führungen der großen Gewerkschaften mit dem Kapital im Sinne von Standortlogik und Sozialpartnerschaft, die reaktionäre Hetze von Rechten und bürgerlicher Presse gegen die Klimabewegung, die nicht zuletzt in der Industriearbeiterschaft Früchte trägt, und auch die tatsächlich massenfeindliche Haltung einiger Teile der Klimabewegung, sorgen dafür, dass sich die Arbeiter:innen von ihrem eigenen Interesse an einem bewohnbaren Planeten entfremden.
Aber die Arbeiter:innen werden nicht einfach nur von den Rechten, der Presse, ihren Bossen und den Gewerkschaftsführungen hinters Licht geführt. Die vergleichsweise gute tarifliche Stellung vieler Arbeiter:innen in besonders klimaschädlichen Schlüsselindustrien wie der Autoindustrie sorgt dafür, dass sich langfristige ökologische und unmittelbare ökonomische Interesse von Arbeiter:innen in den industriellen Zentren der Welt oft nicht überschneiden. Stattdessen stimmen die unmittelbaren Interessen eines Arbeiters im Tagebau oft mehr mit denen RWEs überein als mit denen der Klimaaktivist:innen. Wir sollten uns also keine falschen Illusionen machen über das aktuelle Potential von Veränderung aus den Belegschaften heraus.
Das falsche Bild, das die rechte Presse vom angeblich “klimahassenden” Industriearbeiter zeichnet, zu übernehmen und das Potential der Belegschaften vollumfänglich zu verwerfen, wäre aber ebenso verfehlt. Es ist ein Trugschluss zu glauben, Arbeiter:innen wären grundsätzlich immun gegen ökologische Positionen und Veränderung könnte nur von außerhalb der Belegschaften kommen, beispielsweise durch von diesen völlig losgelöste Blockade-Aktionen wie wir sie im vergangenen Jahr im Hamburger Hafen gesehen haben. Statt solcher symbolischen Events braucht es einen langfristigen Prozess der Annäherung der Klimabewegung an die Belegschaften mit dem Ziel sich miteinander für den Kampf um eine gemeinsame Zukunft zu verbünden. Die Klimabewegung muss die Arbeiter:innen für diesen Kampf gewinnen, indem sie beispielsweise die Frage der Jobverluste durch ökologischen Umbau der Produktion nicht ignoriert, sondern an der Seite der Arbeiter:innen sozialverträgliche Lösungen einfordert. Solidaritätsaktionen von Umweltorganisationen mit Streiks in französischen Raffinerien, die Unterstützung deutscher Klimagruppen für eine kämpfende Belegschaft bei Bosch in Bayern oder die Unterstützung von Streiks der Bus-Fahrer:innen durch Aktivist:innen deuten in die richtige Richtung. Eine Annäherung wird nicht über Nacht passieren und kommt auch nicht von selbst; die Klimabewegung hat eine Menge Boden gut zu machen. Aber wir glauben nicht, dass es eine wirkliche Alternative zu einem solchen Ansatz gibt.
Denn das, was in der Klimabewegung als Alternativen diskutiert werden – symbolische Massenaktionen und kollektive Sabotage – wird nicht in dem Umfang realistisch umsetzbar sein, dass es die kapitalistische Maschinerie dauerhaft außer Kraft setzt. Die Debatte um Sabotage als Erweiterung des zivilen Ungehorsams, wie sie aktuell in der Klimabewegung geführt wird, ist deshalb mehr scheinradikal als dass sie einen wirklichen Ausweg aus der Schwäche der Bewegung weist. Sabotage kann ein Mittel unter vielen sein, zum Beispiel als Unterstützung betrieblicher Kämpfe in der Belegschaft. Losgelöst von realen Kämpfen, ist sie jedoch ein stumpfes Schwert, das die Klimabewegung von den Arbeiter:innen isoliert. Offen für uns ist noch, wie genau ein Zusammenspiel zwischen Belegschaften und Aktionen von draußen sinnvoll koordiniert werden kann und welche Aktionen unterstützend wirken können.
Wichtig ist auch die Frage der großen Gewerkschaften. Diese sind zwar formell Instrumente der Belegschaften, ihnen sind durch die rechtliche Lage, die Standortlogik und jahrzehntelange Sozialpartnerschaft aber größtenteils die Zähne gezogen worden. Ihnen fehlt zudem die ökologische Perspektive eines tatsächlichen Um- und Rückbaus der Produktion. Wir glauben nicht, dass sich die Klimabewegung in erster Linie mit den Gewerkschaftsführungen, sondern direkt mit den Belegschaften verbünden sollte. An der Gewerkschaftsbasis muss die Perspektive des notwendiges ökologischen Umbaus gestärkt werden. Wie das im Detail aussehen kann, können wir aber noch nicht sagen. Eine Zusammenarbeit mit der kämpferischen Opposition im DGB erscheint uns als eine gute Idee.
Der Kampf um und mit den Belegschaften kann sowohl in den Betrieben als auch von außen geführt werden. Letzteres versucht zum Beispiel die Initiative Zusammen Kämpfen in Köln, die durch Gespräche in der Stadt Frechen Kontakt zu RWE-Arbeiter:innen aufbaut. Grundsätzlich erscheint es uns aber als sinnvoll und wichtig, dass Klimaaktivist:innen auch beginnen, als Arbeiter:innen in Betrieben zu kämpfen. Eine Frage, die wir aktuell noch nicht beantworten können ist, wie genau eine solche ökologische und antiautoritäre Betriebsarbeit aussehen kann. Auch hier ist die Frage nach dem Umgang mit den Gewerkschaften relevant. Sicherlich lohnt es sich, von Erfahrungen aus vergangenen Jahrzehnten subversiver Betriebsarbeit hier und in anderen Ländern zu lernen.
Bei der Frage der Annäherung an die Belegschaften muss auch eine strategische Gewichtung vorgenommen werden. Nicht jeder Betrieb in Deutschland ist gleichsam für den Ausstoß klimaschädlicher Emissionen verantwortlich. Bestimmte Sektoren sind besonders klimaschädlich, weshalb ihnen eine besondere Bedeutung zukommt. Zu nennen ist hier insbesondere die Energieproduktion und das verarbeitende Gewerbe. Hinzu kommt, dass in Großbetrieben Streiks leichter viele Arbeiter:innen erfassen können und eine tatsächliche Symbolkraft für weitere Betriebe nach sich ziehen können. Eine weitere Frage, die wir aktuell nicht beantworten können ist, wie ein Fokus auf bestimme Betriebe als Bewegung vorgenommen werden kann.
Die Perspektive, für die wir in den Belegschaften eintreten müssen, ist die des sozial-ökologischen Umbaus der Produktion von unten zum allgemeinen Wohl der Gesellschaft und des Planeten. Die Arbeiter:innen müssen als Teil eines umfassenden Generalstreiks ihre Arbeit niederlegen, sich im Zuge des Bruchs mit dem herrschenden System ihre Arbeitsplätze aneignen und die Dinge selbst in die Hand nehmen. Sie sind sind es, die den Arbeitsprozess nach ihren Bedürfnissen und die Produktion nach dem Bedarf der Gesellschaft neu ausrichten sollen. Im Zuge dieses Prozesses werden nicht wenige heutige Produktionsstätten für immer schließen oder dauerhaft umfunktioniert werden, da das kapitalistische Profitmotiv entfällt und sie aus einer gesellschaftlichen und ökologischen Perspektive nicht mehr gebraucht werden. Es ist klar, dass wir zum Erreichen dieses Ziels weit über den Rahmen üblicher Betriebsarbeit hinaus gehen müssen. Die Arbeiter:innen müssen sich teilweise bewusst gegen ihre eigenen unmittelbaren ökonomischen Interessen stellen. Es braucht dafür eine umfassende Politisierung und Aktivierung der Arbeiter:innen und einen tatsächlichen Gegenentwurf, den wir anbieten können. Wie genau der Schritt von einer Verankerung im Betrieb hin zur vollständigen Niederlegung der Produktion aussehen kann, muss ebenfalls noch geklärt werden und wird vielleicht auch erst auf dem Weg sichtbar.
Die Betriebe sind nicht die einzigen Orte für basisorientierte ökologische Kämpfe. Genauso können das Stadtteile sein, in denen wir gegen die Einbetonierung unserer Nachbarschaften, für ökologisch nutzbare Flächen, gegen die Dominanz des Autoverkehrs, für besseren und kostenlosen ÖPNV und so weiter kämpfen. Wie genau solche Kämpfe aussehen können ist eine weitere offene Frage. Wir halten es für denkbar, sie im Rahmen der aktuell an Profil und Relevanz gewinnenden Basisorganisierung in Nachbarschaften zu diskutieren, wie sie zum Beispiel in Münster und Bremen mit den Stadtteilorganisationen Bergfidel Solidarisch und Stadtteilgewerkschaft Solidarisch in Gröpelingen passiert. Ähnliche Überlegungen skizziert Marian vom anarchistischen Podcast Übertage in seinem letzten Beitrag auf anarchismus.de. Klimaaktivist:innen sollten ihre Erfahrungen mit praktischer Selbstorganisation in solche Projekte mit hineintragen.
Auch Schulen und Hochschulen sollten wieder zu einem Kampffeld der Klimabewegung gemacht werden. Der Ansatz von End Fossil: Occupy! deutete teilweise bereits in die richtige Richtung. Doch braucht es wieder niedrigschwelligere Aktionsformen, um viele Schüler:innen und Studierende mitzunehmen. Das Mittel Schulstreik wiederzubeleben, sollte zumindest diskutiert werden. Inwiefern eine praktische Umsetzung nur vier Jahre nach Ende der letzten Schulstreikwelle realistisch ist, können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.
Egal in welchem Bereich des Kampfes – der Bewegung selbst, den Betrieben, der Nachbarschaft und der Bildung – muss die Perspektive der Nachhaltigkeit unserer Arbeit berücksichtigt und Raum für emotionale Fürsorge, z.B. in Form von Awareness-Strukturen aber auch dem Aufbau dauerhafter zwischenmenschlicher Vertrauensbeziehungen, geschaffen werden. Um das umzusetzen ist es notwendig, dass wir nicht mehr nur von einem Moment der Zuspitzung zum nächsten denken und kämpfen, sondern eine langfristige strategische Perspektive und kontinuierliche Organisierung entwickeln.
Fazit
Im Umfeld der Proteste in Lützerath war wieder einmal viel von der Idee der “Diversity of Tactics” zu hören. Wir wollen das Blickfeld erweitern. Weil die Klimakrise an so vielen unterschiedlichen Orten gemacht wird und sich überall niederschlägt, braucht es heute eine “Diversity of Strategies”. Die Klimabewegung wie wir sie kennen ist eine dieser Strategien, als eigenständige Kraft in Baumwipfeln und auf Äckern gegen Kapital und Staat. Aber der Kampf fürs Klima braucht eben mehr als diese eine Strategie. Er braucht den Kampf in den Betrieben als zentraler Hebel unmittelbar an den Produktionsverhältnissen, in den Stadtteilen, den Schulen und Unis. Jede dieser Fronten erfordert andere Ansätze. Und nur zusammen können sie erfolgreich sein. Nicht obwohl, sondern weil uns so wenig Zeit zur Eindämmung der Klimakrise bleibt, müssen wir unsere Schritte gut und wohlüberlegt wählen. Also lasst uns miteinander ins Gespräch kommen und den Kampf fürs Klima Schritt um Schritt überall strategisch entwickeln.
Für den Aufbau von ökologischer Gegenmacht von unten!
Klimafreundlicher Umbau der Produktion? Nur mit der sozialen Revolution!