Vom 16.-18. September diesen Jahres veranstalteten wir bei unseren Genoss:innen in Leipzig anstelle unseres klassischen inhaltlich fokussierten Kongresses ein Präsenztreffen, das in erster Linie dem gegenseitigen Kennenlernen und dem Vertiefen unserer Beziehungen diente. Dort wurde gemeinsam gekocht und gequatscht, aber auch intensiv diskutiert zu Themen wie der Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen und Männlichkeit, digitaler Sicherheit und der Situation der Einmischungen in unseren Lokalgruppen. Einige von uns besuchten außerdem die Demonstration “Psychotherapie Mangelware” am Richard-Wagner-Platz während sich die anderen in Kleingruppen noch näher kennenlernten. Am Abend schauten wir uns eine Dokumentation über die sozialen Proteste in Chilé an. Trotz des eher lockeren Anspruchs an das Wochenende und der dementsprechend weniger stringenten Vorbereitung, war dieses Präsenztreffen sehr wichtig für unsere Organisation – nicht nur inhaltlich – sondern auch für unseren Zusammenhalt. Viele noch relativ neue Genoss*innen konnten dadurch in entspannter Athmosphäre die Gesichter hinter den Chat-Aliasen kennenlernen und sind sehr motiviert aus dem Treffen rausgegangen. Wir werden diese positive Erfahrung mitnehmen, und in Kombination mit unseren gesammelten Eindrücken auf dem Sommercamp der französischen Genoss*innen der UCL probieren auch in Zukunft mehr Fokus aufs Kennenlernen zu setzen, beispielsweise durch ein eigenes Sommercamp in 2023.
Am vergangenen Wochenende, 19. und 20. November 2022, fand dann schließlich der 7. Föderationskongress der anarchakommunistischen Plattform digital statt. Deligierte und Genoss:innen aus allen Lokalgruppen kamen zusammen, um den weiteren Aufbau der Föderation zu diskutieren, die bisher geschaffenenen Strukturen zu reflektieren und die Entwicklung der Arbeit in den sozialen Kämpfen zu planen.
Am ersten Tag des Kongresses legten wir unter anderem einen Schwerpunkt auf die Diskussion rund um die aktuelle Entwicklung der Proteste gegen die ständigen Preiserhöhungen. Genoss:innen aus verschiedenen Städten schilderten ihre Erfahrungen und diskutierten, wie wir in unseren Stadtteilen und Arbeitsplätzen an der Seite unserer Nachbar:innen und Kolleg:innen die Proteste gegen die Krise vorantreiben und reale Gegenmacht schaffen können. Wir beschlossen, den bisher eher punktuellen Austausch in dieser Frage regelmäßiger und intensiver zu gestalten. Außerdem stellten wir fest, dass es notwendig ist, unsere im Sommer veröffentlichte Situationsanalyse anhand der nun gemachten Erfahrungen und Beobachtungen zu aktualisieren. Dies werden wir in den nächsten Wochen tun. Zuletzt wollen wir eine digitale Sammlung von nützlichen Materialien für lokale Kämpfe gegen die Krise anlegen und veröffentlichen.
Den Samstag nutzten wir auch, um – getrennt in eine Diskussionsrunde für FLINTAs und Cis-Männer – zu reflektieren, wie es um die Arbeit an patriarchalen Dynamiken in unserer Föderation bestellt ist, welche antipatriarchale Arbeit bereits geleistet wird und wie wir uns hier weiterentwickeln und verbessern können.
Am zweiten Tag des Kongresses stand die Neubesetzung unserer föderationsweiten Mandate auf der Tagesordnung sowie die Aufstellung neuer Ziele für das kommende Halbjahr. Wir legten fest, dass wir weiter an der Erarbeitung unseres Manifests arbeiten wollen, welches unsere gemeinsame theoretische Grundlage darstellen soll. Wir werden außerdem an der Formulierung unserer allgemeinen Strategie arbeiten und dabei stärker in den Austausch mit unseren europäischen Schwesterorganisationen treten.
An beiden Tagen war das weitere Wachstum unserer Föderation ein Schwerpunkt der Diskussion. Wir beschlossen, niedrigschwelligere Materialien zu erstellen, unsere relevanten Texte vollumfänglich zu vertonen und mehr offene Angebote wie Cafes oder Wanderungen für interessierte Menschen in unseren Städten zu schaffen. Auch in der Öffentlichkeitsarbeit wird es einige Anpassungen geben.
Insgesamt waren es zwei sehr intensive und aufgrund der Online-Formats auch immer wieder anstregende Tage. Dennoch war es schön, mit so vielen Genoss:innen – wenn auch leider nur digital – zusammenzukommen. Wir freuen uns bereits auf den nächsten Kongress, bei dem wir uns offline wiedersehen und auf dem wir überprüfen können, inwieweit wir unsere selbstgesteckten Ziele umsetzen konnten. Jetzt gehen wir auf jeden Fall erst einmal gespannt in das nächste halbe Jahr der Arbeit in den sozialen Kämpfen!
Dabei motiviert uns, dass wir nicht alleine da stehen. Hier bei uns wie auch international gibt es Genoss:innen, die wie wir für eine bessere und freiere Gesellschaft, für den anarchistischen Kommunismus, kämpfen. Es hat uns sehr gefreut, dass uns zahlreiche Grußwörter von befreundeten Organisationen erreichten. Zwei Organisationen aus unserem engsten europäischen Umfeld – die Union Communiste Libertaire (UCL) aus Frankreich, Belgien und der französischsprachigen Schweiz und die Anarchist Communist Group (ACG) aus Großbritannien – überbrachten ihre Grüße “live” am Sonntagmorgen. Ein weiteres Grußwort, das uns von der Coordinacion Anarquista Latinomaricana (CALA) erreichte, dokumentieren wir hier.
“Genoss:innen,
die Zeiten, die vor uns liegen, sind nicht einfach. Die Krisen, die der Kapitalismus geschaffen hat, suchen die Menschen in allen Teilen der Welt heim. Verarmung, Hunger, Pandemie, steigende Lebenshaltungskosten und Tod füllen täglich die Zeitungsseiten, und die Eigentümer:innen von Macht und Geld profitieren jeden Tag ein wenig mehr vom Elend unserer Menschen.
Der Kapitalismus wird nicht an seiner eigenen Schwäche scheitern, und die Krisen, die diejenigen, die an der Spitze stehen, verstärken, drohen den Planeten zu zerstören, noch bevor das System endet. Es gibt keinen anderen Ausweg für die Zukunft der Menschheit als einen radikalen und tiefgreifenden Ausstieg aus dem Kapitalismus, der ein für alle Mal die Grundlagen zerstört, die Ausbeutung und Gewalt aufrechterhalten.
Die Kühnheit, von einer möglichen Zukunft für alle zu träumen und für sie zu kämpfen, ist die große Torheit, derer wir beschuldigt werden; die Rebellion, sich mit vereinten Kräften für den Aufbau einer Zukunft in Würde und Überfluss einzusetzen, ist das Verbrechen, für das wir verfolgt werden; die Unfähigkeit, sich damit abzufinden, dass es im Moment des größten Wohlstands in der Geschichte hungrige und obdachlose Menschen gibt, ist die Krankheit der Empfindlichkeit, von der wir geheilt werden sollen.
Deshalb grüßen wir diese Kühnheit und schließen uns denen an, die den Schmerz und die Not in der Welt mit Zuneigung und Empörung empfinden und sich für die edelste aller möglichen Entscheidungen entscheiden: ihr Leben der Kühnheit zu widmen, nicht zu akzeptieren, sich nicht von Niederlagen überwältigen zu lassen, sich die Hände zu reichen und für Sozialismus und Freiheit zu kämpfen, in dem Bewusstsein, dass es keinen anderen Ausweg gibt und dass es unsere wichtigste Aufgabe ist, die rot-schwarze Fahne, die wir geerbt haben und die wir weitergeben werden, hoch und fest zu halten.
Aus diesem Grund grüßen wir aus dem Süden der Welt den Kongress der Plattform, unserer Schwesterorganisation, und wir grüßen die Kühnheit, nicht zu resignieren und unsere Träume, unsere Methoden, unsere Art, politischen Kampf zu führen, mitten ins Herz Europas zu tragen.
Wir hoffen, dass jede:r Genoss:in sich in den Körpern, Zuneigungen und Kämpfen aller anderen wiederfindet, dass jedes Problem eine kraftvolle Lösung findet und dass der Kongress die richtigsten Wege aufzeigt, um eine starke und effektive Organisation im Kampf gegen den europäischen Imperialismus, gegen den Vormarsch des neoliberalen Terrors und für ein würdiges Leben für unsere Klasse zu schaffen.
Nehmt liebevoll unsere brüderliche Umarmung entgegen, unsere Fäuste, die sich neben den euren erheben, und unsere Herzen, die auch eine neue Welt in sich tragen, eine Welt, die wir gemeinsam in jedem Winkel dieses Planeten aufbauen werden, bis die Freiheit zur Gewohnheit wird.”
Hier bei uns wie auch international gilt es den organisierten Anarchismus neu aufzubauen und auf solide Füße zu stellen. Ihn zu verankern in den Kämpfen der lohanbhängigen Klasse. Das wird keine leichte Aufgabe und genau deshalb ist es jetzt an der Zeit, sie gemeinsam anzugehen. Packen wir es an!