NEUER PODCAST & TEXT!
In diesem neuen Grundlagentext zu grenzenloser Solidarität beschäftigen wir uns mit unserem Verhältnis zu Internationalismus, Antinationalismus und Imperialismus. Den Podcast findet ihr hier: https://www.dieplattform.org/podcast/grenzenlose-solidaritaet/
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“Grenzenlose Solidarität”
vom 9.11.20
Der Anarchismus bzw. anarchistische Kommunismus ist eine weltweite und auf grenzenloser Solidarität (Fußnote 1) basierende Bewegung. Dieser Grundsatz gilt seit seiner Entstehung ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Gründung der “Internationalen Arbeiterassoziation” (“Erste Internationale”) von 1864 sowie die “Antiautoritäre Internationale” 1872 stellen bedeutende Versuche dar, die damalige sozialistische und anarchistische Arbeiterinnenbewegung über Nationalstaatsgrenzen hinweg zu organisieren. Im Laufe der Geschichte kamen bis heute viele weitere hinzu.
Denn kapitalistische Ausbeutung, rassistische und patriarchale Unterdrückung sind (wie weitere Herrschaftsformen) weltweit strukturell verankert. Eine kraftvolle Antwort darauf besteht in der grenzenlosen Solidarität der Ausgebeuteten und Unterdrückten weltweit.
Der Kapitalismus besteht weltweit und somit auch die lohnabhängige Klasse. Die herrschende Klasse (bestehend aus Regierenden und Eigentümer*innen an Produktionsmitteln und Grundstücken) sind in grundlegenden Fragen (der Besitz- und Herrschaftssicherung) einig und betreiben globalen Klassenkampf von oben (Fußnote 2). Deshalb ist es notwendig die sozialen Kämpfe über nationale und kontinentale’ Grenzen hinweg zu führen und zu koordinieren. Anknüpfen kann die Klasse der Lohnabhängigen am weltweit verbreiteten Interesse von Lohnabhängigen und Ausgebeuteten, ihre Ausbeutung zu überwinden (Fußnote 3). Beispielsweise müssen aufgrund der weltweiten Produktionsketten und globalen Standortverlagerungen Streiks über Staatsgrenzen hinweg geführt werden um erfolgreich sein zu können.
Wir leben in imperialistischen (Fußnote 4) Staaten, welche zusammen mit den weltweit agierenden Konzernen anderer Staaten, deren Ressourcen und lohnabhängigen Einwohner*innen wirtschaftlich ausbeuten und militärisch beherrschen. Dies geschieht unter anderem mittels Schuldenabhängigkeiten, wirtschaftlichem Niederkonkurrieren und zerstörerischer Handelspolitik sowie durch Krieg und andere militärische Interventionen. In der Zusammenarbeit mit Gruppen aus anderen Regionen gilt es unsere besondere Position als in Deutschland Lebende zu berücksichtigen. Hierzu gehört einerseits im sogenannten globalen Norden zu leben, dessen Reichtum sowohl historisch als auch aktuell auf Kolonialisierung und Ausbeutung beruht. Und andererseits kommt Deutschland ebenso in der Europäischen Union eine profitierende und herrschende Rolle zu. Sicherlich besitzt die lohnabhängige Klasse nur einen geringen Teil vom dadurch erarbeitenden Reichtum, weil er zum größten Teil von einigen Wenigen angeeignet wird. Jedoch müssen wir uns bewusst sein, dass Teile der Arbeitenden ihre individuellen Interessen mit den nationalen Interessen identifizieren. Das Interesse im Klassenkampf der lohnabhängigen Klasse in Deutschland ist zwangsläufig mit dem Schicksal der internationalen Klasse der Lohnabhängigen verbunden. Aus diesem Grund ist die Vergesellschaftung der Produktionsmittel von Seiten der Lohnabhängigen in Deutschland immer auch mit einen Kampf gegen Deutschlafnd als Wirtschaftsstandort an sich verbunden. Gerade weil dieser auch imperialistischen Bestrebungen auf der ganzen Welt nachgeht, bedeutet dies auch gegen die Interessen des Standorts an sich zu agieren und diesen bei der Sicherung oder Wahrung seiner Interessen zu stören oder diese zu verhindern. Zugleich arbeiten jedoch viele Lohnabhängige in Deutschland in exportorientierten Branchen und Betrieben. Das bedeutet, dass sie kurzfristig und indirekt von den Exporten abhängig sind. Die dadurch entstehenden Bedenken und Ängste an einem Arbeitskampf teilzunehmen, gilt es ernst zu nehmen und zu berücksichtigen. Jedoch dürfen wir uns nicht anzubiedern, sondern müssen stets die Befreiung aller Menschen als Perspektive beibehalten. Dafür ist es notwendig, internationale Kontakte aufzubauen und zu pflegen.
Unsere Antwort auf diese Verhältnisse ist ein doppelter: Zum einen der Kampf bei uns vor Ort gegen die kapitalistischen Logiken sowie die Herrschaft von Staat und Kapital. Und zum anderen weltweiter Kampf, indem wir zusammen mit klassenkämpferischen progressiven Bewegungen aus anderen Regionen der Welt kämpfen und mit ihnen solidarisch sind.
Der Staat ist dabei kein Verbündeter, da seine Existenzgrundlage und internationale Durchsetzungsfähigkeit an die erfolgreiche Kapitalakkumulation geknüpft ist. Er kann zwar politische Maßnahmen treffen, welche den Interessen des Kapitals bzw. einzelner Kapitalfraktionen zuwiderlaufen. Allerdings dürfen derartige Maßnahmen die Akkumulation als Ganzes nicht gefährden, da der Staat sich sonst langfristig seiner eigenen Existenzgrundlage berauben würde.Deshalb muss der Kampf über Staatsgrenzen hinaus gehen. Weltweite Solidarität zwischen der lohnabhängigen Klasse kann nur erfolgreich sein, wenn die Staaten als Miterzeuger*innen von nationalen Rivalitäten aufgelöst werden. Als revolutionäre und antinationale Anarcha-Kommunist * innen solidarisieren wir uns nicht mit sogenannten “anti-imperialistischen” Staaten, deren lokalen herrschenden Eliten oder politische Parteien der “nationalen Befreiung”. Stattdessen solidarisieren wir uns mit den klassenkämpferischen progressiven Bewegungen der lohnabhängigen Klasse (Fußnote 5).
Die Bestrebungen eine weltweit revolutionäre und grenzenlos solidarische Bewegung aufzubauen werden beständig durch Staat und Kapital angegriffen: Patriarchale und rassistische Unterdrückungs- und Herrschaftsformen und die Kategorisierung und Diskriminierung von Menschen nach sexistischen, rassistischen, antisemitischen und weiteren Mustern werden genutzt um emanzipatorische Kämpfe im Keim zu ersticken. Dies passiert zum einen durch die Reproduktion durch die gesellschaftlichen Verhältnissen, in welchen diese Herrschafts- und Unterdrückungsformen wesentliche Selektionskriterien darstellen und zum anderen durch die bewusste Benutzung dieser durch reaktionäre Kräfte, um Menschen zu diskriminieren und zu unterdrücken. Die Einheit der lohnabhängigen Klasse weltweit bedeutet deshalb auch Kampf gegen institutionalisierte Diskriminierung und Unterdrückung auf Grundlage von Geschlecht, (zugeschriebener) Herkunft und Nationalität.
• “Jeder Nationalismus ist seinem Wesen nach reaktionär, da er bestrebt ist, den einzelnen Teilen der großen Menschenfamilie einen bestimmten Charakter nach einem vorgefassten Glauben aufzuzwingen” (Rudolf Rocker, Nationalismus und Kultur, S. 207)
Die soziale Revolution in nur einem Land kann nicht dauerhaft erfolgreich sein Fußnote 6 (und eine auf einen Staat begrenzte Revolution ist auch nicht unser Ziel). Eine vereinte weltweite revolutionäre Bewegung der lohnabhängigen Klasse ist unser Ziel zur Überwindung von Kapitalismus und Herrschaft.
Weltweite Solidarität ist die schärfste Waffe der lohnabhängigen Klasse – wir wollen weltweite Beziehungen zu anderen klassenkämpferischen Bewegungen und Organisationen der lohnabhängigen Klasse aufbauen und grenzenlose Solidarität verwirklichen um diesem Ziel näher zu kommen.
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Fußnoten:
Fußnote 1
Den Begriff Internationalismus gebrauchen wir hier bewusst nicht. Unsere Kritik richtet sich hier nicht gegen die Bedeutung, praktische Solidarität zwischen Menschen in unterschiedlichen Regionen der Welt auszuüben. Sondern, dass der Internationalismusbegriff die Bedeutung “zwischen den Nationen” in sich trägt und damit ein Verständnis transportiert, das den Nationalstaat und Nationalitäten nicht grundsätzlich in Frage stellt, sondern aufrecht erhält. Damit wird allgemein das soziale Konstrukt “Nation” und im Speziellen die Spaltung der lohnabhängigen Klasse in Nationen fortgeführt. Und es erwächst kein zukunftweisendes Konzept von Solidarität.
Solange wir jedoch in Nationalstaaten leben müssen, müssen wir die Existenz von Nationen als sozial konstruierte Realitäten anerkennen und handeln deshalb in der Praxis internationalistisch wie antinationalistisch gleichermaßen.
Fußnote 2
Indem das kapitalistische System die lohnabhängigen Menschen untereinander in Konkurrenz setzt und die herrschende Klasse die Ausbeutung und Niederhaltung der lohnabhängigen Klasse organisiert fördert, sowie Spaltungslinien anhand von Geschlecht oder (zugeschriebener) Herkunft aufbaut.
Fußnote 3
Auch wenn durch Staat und Kapital unterschiedliche Interessen konstituiert werden und die Lebens- und Arbeitsverhältnisse in den unterschiedlichen Regionen der Welt sich zum Teil unterscheiden.
Fußnote 4
Imperialismus meint das “Bestreben einer Großmacht, ihren Herrschaftsbereich auszudehnen oder zumindest die Kontrolle über andere Gebiete zu erlangen. dies kann auf pollitischer und kultureller Ebene sein, vor allem aber in ökonomischer Hinsicht. Um die Kontrolle über ein Land zu bekommen, muss es jedoch nicht zwangsläufig (militärisch) besetzt werden. Oftmals geschieht dies durch die wirtschaftliche Abhängigkeit und durch die Platzierung eigener Unternehmen” (aus: Denegro: Anarchistisches Wörterbuch. Münster. 2014. S. 62)
Fußnote 5
(Kritik nationale Befreiungsbewegungen)
Nationale Befreiungsbewegungen haben oftmals nur begrenzte Ziele: Die Eroberung der politischen (Staats-)Macht und die Verwaltung der Menschen durch eine neue (regionalere) Regierung. Dabei beziehen nationale Befreiungsbewegungen in ihren Kampf häufig alle gesellschaftlich mächtigen/einflussreichen Akteurinnen mit ein – also auch die herrschende Klasse. Damit werden innerhalb dieser Bewegungen Klassenunterschiede verschleiert. Außerdem wird durch den Fokus auf nationale Interessen Nationalismus und Rassismus transportiert sowie deren Verfechter*innen gestärkt. So aufgestellte nationale Befreiungsbewegungen bringen für die lohnabhängige Klasse keine Freiheiten. Stattdessen wird (grenzenloser) Klassenkampf durch die Priorisierung auf nationale Befreiung und Stärkung des Nationalismus an den Rand gedrängt. Sollten nationale Befreiungsbewegungen innerhalb der lohnabhängigen Klasse starken Zulauf finden, muss es Aufgabe der Anarchist*innen sein, innerhalb dieser Bewegungen die nationalistischen und rassistischen Positionen an den Rand zu drängen und ein klassenkämpferisches, anarchistisches Programm auf breiter Basis zu verankern.
Fußnote 6
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass soziale Revolutionen, die auf einzelne Regionen bzw. Nationalstaaten begrenzt waren (z.B. die Kommune Shinmin in der Mandschurei 1929/1930 oder Teile Spaniens 1936/1937), sich nicht längerfristig halten konnten. Grund dafür waren massive militärische Repression durch Militärs des In- und Auslands. Hinzu kamen in bestimmten Bereichen wirtschaftliche Abhängigkeiten (Rohstoffe, Produkte, Produktionsmittel), welche sich negativ auf den Verlauf der sozialrevolutionären Phase ausgewirkt haben.
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