Gruppen von Kindern, die in Großbritannien migrantisch gelesene Menschen attackieren. Hakenkreuze und „Ausländer raus“-Gesänge in einem Grundschulhort in Pirna. Extrem rechte Jugendliche, die sich zusammentun um Pride-Paraden gezielt zu stören und anzugreifen. Medial und gesamtgesellschaftlich überall große Überraschung und entsetzte Aufschreie ob dieser Vorfälle und Ausschreitungen, Fassungslosigkeit im Angesicht der hohen Ergebnisse extrem rechter Parteien bei der jüngeren Generation. Wie konnte es nur so weit kommen?
Weder der Rechtsruck unter den Jugendlichen noch die Gewaltexzesse, in denen er sich entlädt, sind überraschend oder plötzlich. Sie sind einerseits Teil eines gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks, befeuert durch den massiven Sparkurs an öffentlichen sozialen Dienstleistungen der vergangenen Jahre, und andererseits Symptom und direkte Konsequenz einer bitteren Wahrheit: Ein gutes Leben für die Jugend ist diesem System egal.
Belächelt als TikTok-Generation und gefangen in einem durch soziale Ungleichheit geprägten, chronisch überlasteten und unterfinanzierten Schulsystem sehen sich Jugendliche in Deutschland und überall vor allem mit einem konfrontiert: Perspektivlosigkeit. Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf, die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist spätestens seit Corona an einem neuen Tiefpunkt und Politiker:innen interessieren sich nur für die Belange junger Menschen, wenn die nächste Wahl vor der Tür steht.
Das alles ist kein Zufall, sondern Ausdruck der kapitalistischen Verwertungslogik, die sich durch alle Bereiche unserer Gesellschaft zieht. Kinder und Jugendliche generieren (zumindest in weiten Teilen des globalen Nordens) keinen Mehrwert, sie sind für das kapitalistische System primär in ihrer Funktion als zukünftige Arbeitskräfte relevant, die es zu diesem Zweck möglichst gut auszubilden und auf dieses Ziel auszurichten gilt. Diese “Perspektive” einer gewinnbringenden Verwertung durch qualifizierte Jobs steht jedoch längst nicht allen offen: Gerade der besonders prekäre Teil der jugendlichen Arbeiter:innenklasse kann selten auf eine solche “Qualifizierung” hoffen und wird in seiner besonderen Perspektivlosigkeit und gleichzeitigen Notwendigkeit als billige Arbeitskräfte und industrielle Reservearmee eher als Sicherheitsproblem wahrgenommen, dessen “Bewältigung” auch mit Gewalt erfolgt. Jenseits ihrer zukünftigen Position in der Wertschöpfung bleiben junge Menschen gesellschaftlich jedoch weitgehend unbeachtet.
Das zeigte sich nicht zuletzt auch an den Schulschließungen während der Coronakrise, deren Folgen Kinder und Jugendliche bis heute spüren. Während die Fortführung der Produktion um keinen Preis gefährdet werden durfte, gehörten Schulschließungen, Ausgangssperren und soziale Kontaktbeschränkungen entgegen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den ersten Reaktionen auf die Pandemie. Die negativen Konsequenzen dieser Maßnahmen für junge Menschen wurden vielfach von rechter und verschwörungsideologischer Seite für die Verharmlosung und Leugnung der Pandemie instrumentalisiert, jenseits davon jedoch kaum beachtet.
Auch in den gegenwärtigen Kriegen gehören Kinder zu den Hauptbetroffenen und sind eine der größten Opfergruppen. Ob als „Kollateralschaden“ bewusst in Kauf genommen, als Hinterbliebene im Krieg getöteter Eltern unbeachtet oder gezielter Spielball „moderner Kriegsführung“, Kinder und Jugendliche weltweit leiden und sterben für den Profit und die Machtinteressen der herrschenden Klasse.
Die Perspektivlosigkeit junger Menschen und die aktive Politik gegen ihre Interessen sind der Nährboden für rassistische Ressentiments und menschenverachtende Feindkonstruktionen – und nicht, wie oft behauptet, die „Dummheit“ und leichtgläubige Anfälligkeit von Jugendlichen für populistische Propagandavideos. Die rechte Gewalt, die sich vielerorts auf den Straßen entlädt, richtet sich gegen von Rassismus betroffene, queere oder aus anderen Gründen im extrem rechten Weltbild als „anders“ oder „bedrohlich“ gekennzeichnete Menschen, aber sie ist auch Ausdruck einer Frustration, Wut und Ohnmacht im Angesicht dieser Perspektivlosigkeit.
Es liegt daher an uns als Revolutionär:innen, die Perspektive einer besseren und selbstbestimmten Gesellschaft greifbar zu machen und die Kräfte der Revolution aufzubauen. Zentraler Bestandteil dieses Kampfes ist die Jugend – nicht als homogene, wahlweise bevormundete oder romantisierte Masse, sondern als Leidtragende des kapitalistischen Systems, bedeutender Bestandteil der Arbeiter:innenklasse und nicht zu unterschätzende Kraft der Veränderung.
Es gilt, in Schulen, Universitäten, Ausbildungsstätten, Nachbarschaften und Betrieben den Rechten und ihren Narrativen entschieden entgegenzutreten, die Organisierung für eine bessere Welt voranzutreiben und so Gegenmacht von unten aufzubauen. Vielversprechende Entwicklungen sehen wir im Aufbau syndikalistischer Jugendorganisationen wie den Autonomen Schüler*innensyndikaten oder der Freien Arbeiter*innen Jugend Schweiz ebenso wie im Aufkommen von Stadtteilgewerkschaften und anderen Strukturen solidarischer Selbstorganisation und gegenseitiger Hilfe.
Für eine kämpfende und organisierte Jugend! Für die soziale Revolution