Vom 28. bis 30. März hat in Berlin ein anarchosyndikalistischer Jugendkongress stattgefunden. Organisiert wurde er vom Autonomen Schüler*innen Syndikat (ASS) Berlin. Verschiedene anarchosyndikalistische Schüler*innengewerkschaften und Jugendgruppen aus dem Bundesgebiet sowie aus der Schweiz und aus Schweden nahmen teil. Auch eine kleine Jugenddelegation der Plattform war vor Ort. Es folgt ein persönlicher Bericht einer jungen Genossin, die am Kongress teilgenommen hat.
“Für mich war der Kongress ziemlich eindrucksvoll. Es gab viel und sehr diverses Programm: Von einer Schnitzeljagd zur Entdeckung der Geschichte des Viertels und zum gegenseitigen Auftauen, über verschiedenste Vorträge und Workshops bis hin zu einem Konzert und einem Filmabend. Wie es eben so ist, wenn man auf so viele fremde Leute trifft, war ich anfangs ein bisschen nervös und aufgeregt. Dadurch, dass ich aber direkt herzlich und mit einem Geschenkbeutel begrüßt wurde, hat sich meine Besorgnis schnell in Luft aufgelöst. Das Programm hat mich auch sozial integriert und am Tresen gab es immer Ansprechpersonen. Jeden Tag wurden von unterschiedlichen Genoss:innen drei Mahlzeiten zubereitet. Es wurde eine Awareness-Struktur geschaffen, die ansprechbar war und darüber hinaus ein Rückzugsraum organisiert, der von morgens bis abends von einer Awareness-Person besetzt wurde. Von A bis Z war also alles selbstorganisiert.
Die Vorträge und Workshops haben anarchistisch-syndikalische Geschichte und Tradition, Theoriebildung, geteilte praktischen Erfahrungen aus bisherigen Kämpfen oder strategische Überlegungen behandelt. All das mit Bezug auf Schul- und Jugendorganisierung, aber auch hinsichtlich Lohnarbeit als nächstfolgendem Kampffeld. Unser Vortrag zu “Anarchafeminismus – Die Suche nach einer revolutionären feministischen Praxis” ist auf viel positive Resonanz gestoßen und ich habe die kleine Frage- und Austauschrunde im Nachgang genossen. Zwischen den Genoss:innen von der FAU Berlin und dem Podcast Übertage hatten wir unseren Infostand aufgebaut und waren so auch vor und nach dem Vortrag präsent, konnten unsere Materialien verteilen und Geld für die Sudan-Kampagne sammeln. Mit Infoständen waren auch die Genoss:innen von Perspektive Selbstverwaltung und dem Institut für Syndikalismusforschung vertreten. So ergab sich für die Teilnehmenden des Kongresses ein guter Einblick in die gesamte Organisationslandschaft des klassenkämpferischen Anarchismus in Deutschland und für uns die Möglichkeit, alte Bekannte wiederzutreffen und neue Bekanntschaften zu machen.
Am ersten Tag wurde durch ein Banner der schwedischen Genoss:innen mit der Forderung nach einem Ende der Besatzung Palästinas die auch in den Reihen der anarchosyndikalistischen Jugend vorhandene Polarisierung hinsichtlich des Kriegs gegen Gaza sichtbar. Die Diskussion darüber hat mich während des Kongresses sehr beschäftigt und hat mir deutlich gemacht, dass die fehlende konsequente anarchistische Positionierung zu diesem internationalen Thema weiterhin ein großes Problem für den organisierten Anarchismus im deutschsprachigen Raum darstellt. Ich glaube die Konfrontation mit diesem Thema war und bleibt wichtig, weil es eine Auseinandersetzung damit braucht, um handlungsfähig zu werden. Dabei will ich aber nicht vergessen, wie viel Sorgearbeit sie in Anspruch genommen hat. Ich hab das ASS Berlin, die schwedischen Genoss:innen der Syndikalistiska Ungdomsförbundet sowie alle weiteren, die Awareness-Arbeit übernommen haben hier als ziemlich ambitioniert, kompromissbereit und solidarisch im Umgang erlebt.
Für mich war der Kongress ein sehr praktischer und schöner Raum für Austausch. Einerseits formell, da von vielen Organisationen und Einzelpersonen Input gegeben wurde und daran anschließende Austausch- und Fragerunden, Diskussionen ermöglichten. Andererseits auch informell, weil ich das Gefühl hatte Leute anquatschen zu können und die geteilte Idee da war, sich untereinander kennenzulernen und Verbindungen zu schaffen. Ich habe super viele Menschen außerhalb meiner Heimatstadt kennengelernt und hab das Gefühl, dass wir auch als kleine Delegation der Plattform stärker zusammengewachsen sind. Ich freue mich auf weitere Zusammenarbeit und darauf die Genoss:innen hoffentlich bald wieder zusehen. Mein und unser Dank gilt dem ASS Berlin dafür, dass sie den Kongress durch ihre organisatorische (Vor-)Arbeit überhaupt möglich gemacht haben!”
Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, ob es gelingen kann, eine neue Welle anarchistischer und syndikalistischer Jugendorganisierung zu entfachen. Als Plattform werden wir alle Ansätze, die in diese Richtung zeigen, weiter solidarisch unterstützen. Denn der Aufbau einer organisierten anarchistischen und syndikalistischen Jugend ist ein wichtiger Baustein im Prozess des allgemeinen Wiederaufbaus der anarchistischen und syndikalistischen Bewegung in unserer Region. Wir wünschen unseren Genoss:innen – ob sie im ASS, der Schwarzen Rose Dresden, der Freien Arbeiter*innen Jugend Schweiz, der Syndikalistiska Ungdomsförbundet, bisher noch ganz woanders oder gar nicht organisiert sind – daher viel Glück und noch viel mehr Durchhaltevermögen bei ihrem Aufbauprozess.