In diesen Tagen vor 104 Jahren, im März 1920, stehen überall im Deutschen Reich die Betriebe still. Mit einem Generalstreik stellt sich die Arbeiter:innenklasse dem reaktionären Kapp-Lüttwitz-Putsch entgegen. Es ist der Auftakt für einen der größten Arbeiter:innenaufstände der deutschen Geschichte – die Märzrevolution im Ruhrgebiet.
Keine zwei Jahre zuvor hat die Novemberrevolution die alte Ordnung hinweggefegt und dem mörderischen Krieg der europäischen Imperialisten ein Ende gesetzt. Doch die verräterische Sozialdemokratie würgt die soziale Revolution durch einen Pakt mit den alten Eliten ab. Nichtsdestotrotz sinnen diese auf Rache für den Verlust ihres Kaisers, der Gebiete und Kolonien und ihrer starken Armee.
Am 13. März 1920 unternehmen deshalb Teile der Reichswehr unter General Lüttwitz und dem preußischen Beamten Wolfgang Kapp einen Putschversuch in Berlin, um die alte Ordnung wiederherzustellen. Den Kern der meuternden Truppen bilden Angehörige der Freikorps, reaktionärer Männerbünde ehemaliger Frontsoldaten, die noch vor der Gründung der NSDAP mit dem Hakenkreuz am Helm marschieren. Während die SPD-Regierung vor den Putschisten aus Berlin flieht, wissen die Arbeiter:innen was zu tun ist. Ein reichsweiter Generalstreik wird für den 15. März ausgerufen. Binnen drei Tagen sind die Putschisten am Ende und geben auf.
Im Ruhrgebiet ist der Widerstand gegen den Putsch besonders stark. Die Organisationen der Arbeiter:innenbewegung – Parteien wie SPD, USPD und KPD sowie die Gewerkschaften Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund (Vorgänger des DGB) und die anarchosyndikalistische Freie Arbeiter Union Deutschlands (Vorgängerin der FAU) – bilden „Aktionsausschüsse“, die in den Städten die lokale Macht übernehmen. Sie stützen sich auf bewaffnete Arbeiterformationen, die zur Verteidigung gegen die Putschisten gebildet werden. Diese Kampfverbände schließen sich schnell zur „Roten Ruhr Armee“ zusammen und gemeinsam gelingt es ihnen, die verhasste Reichswehr aus dem gesamten Industrierevier zu vertreiben. Die „Märzrevolution“ ist eine gemeinsame Aktion des Proletariats im Ruhrgebiet: Sozialdemokrat:innen kämpfen Schulter an Schulter mit Kommunist:innen und Anarchist:innen, zahlreichen Unorganisierten und selbst Mitgliedern der christlichen Gewerkschaften.
So groß die Einigkeit in der Abwehr der unmittelbaren Gefahr ist, über die weitergehenden Ziele des Aufstands gibt es durchaus unterschiedliche Meinungen: „Verteidigung der Republik!“ rufen die einen. Ihnen geht es um die Entwaffung der am Putsch beteiligten Truppen und die Säuberung des Staatsapparats von monarchistisch gesinnten Beamten, also um eine parlamentarische Demokratie, die mehr als nur Fassade ist. „Sozialisierung!“ und „Alle Macht den Räten!“ rufen die anderen. Sie sehen die Chance gekommen zu einer viel gründlicheren Umgestaltung der Gesellschaft, zur Fortsetzung der Novemberrevolution von 1918. Die arbeitende Bevölkerung soll den Bossen die Kontrolle über die Produktionsmittel entreißen („Sozialisierung“) und sie zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse benutzen; sie soll ihre kollektive Macht durch Basisversammlungen selbst ausüben („Räte“), anstatt sie an Parlamente zu delegieren. Wo sich die Gelegenheit bietet und radikale Kräfte wie die Syndikalist:innen besonders stark sind, wird bereits mit ersten Schritten zur Verwirklichung dieser Ideen begonnen.
Es soll den Aufständischen jedoch keine Zeit bleiben, ihre inneren Widersprüche zu klären. Kaum aus dem süddeutschen Exil zurück im Amt, erteilt die Regierung den vielstimmigen Rufen nach gesellschaftlichen Veränderungen erneut eine klare Absage. „Ruhe und Ordnung“ sei jetzt das Gebot der Stunde. Um diese wieder herzustellen, geht die SPD-Führung, wie schon im November 1918, ein Bündnis mit dem Militär ein. Sie schreckt nicht einmal davor zurück, die Truppen, die gerade gegen sie geputscht haben, gegen jene Arbeiter:innen einzusetzen, die sie vor dem Putsch gerettet haben. Zuallererst geht es der Regierung darum, das soziale Experiment an Rhein und Ruhr zu beenden, ehe der Funke auf andere Gebiete überspringt.
Aber die Märzrevolution bleibt isoliert; der verzweifelte Aufruf: „Rettet die Ruhrarbeiter!“ verhallt ungehört. Ein wesentlicher Grund für die Passivität der übrigen Arbeiterschaft sind illusionäre Hoffnungen in ihre politischen und gewerkschaftlichen Führer:innen und deren Verhandlungen in Berlin und Bielefeld, wo ein Abkommen über die Forderungen der Bewegung ausgehandelt werden soll. So kann die Reichswehr ungehindert aus anderen Teilen Deutschlands Truppen zusammenziehen, die die Bewegung drei Wochen nach ihrer Entstehung zerschlagen und dabei furchtbar blutige Rache nehmen. Der Terror der Freikorps bietet einen Vorgeschmack auf das, was nach 1933 kommen wird.
Die Weimarer Republik, so will es die offizielle Erzählung dieses Staates, sei gescheitert, weil die demokratische Mitte von den extremen Kräften von links und rechts zerrieben worden sei. Im Gegensatz dazu zeigt uns das Schicksal der Märzrevolution, dass die politische Mitte, insbesondere die Parteispitze der SPD, schon ganz am Anfang der Weimarer Zeit im Bündnis mit der äußersten Rechten jene Kräfte blutig unterdrückte, die in den 1930er Jahren vielleicht dazu in der Lage gewesen wären, dem Aufstieg der Nazis etwas entgegenzusetzen.
Wir erinnern heute an die Millionen Arbeiter:innen, die sich mutig dem Griff der schärfsten Reaktion nach der Staatsmacht, entgegenstellten. Wir erinnern heute besonders an die zehntausenden Ruhr-Proletarier:innen, die im Frühjahr 1920 für ihre Befreiung vom Joch des Kapitalismus kämpften. Ihr seid niemals vergessen!