Am 20. und 21. Mai 2023 hat in Köln der achte Föderationskongress der anarchakommunistischen Plattform stattgefunden. Nach der Gründung der dortigen Lokalgruppe im vergangenen Jahr war die Rheinmetropole damit das erste Mal Austragungsort eines Kongresses.
Schwerpunktthema der beiden gut gefüllten Kongresstage, zu denen Mitglieder und Deligierte aller Lokalgruppen angereist waren, stellte die Erarbeitung unserer programmatischen Grundlage dar. Als plattformistische Anarchist:innen sind wir der Überzeugung, dass nur ein gemeinsames Verständnis der herrschenden Gesellschaftordnung und eine grundsätzliche Einigkeit über den Weg wie wir sie überwinden können, eine stabile Basis für eine revolutionäre Organisation bilden können. Dennoch ist es uns aus unterschiedlichen Gründen bis heute nicht gelungen, ein solches Programm zu erarbeiten. In langen, intensiven Diskussionen einigten wir uns deshalb auf Zielsetzung, Struktur und Prozessform für einen neuen Anlauf zur Erarbeitung eines Programms, das unseren Ansprüchen gerecht werden kann. Das kürzlich veröffentlichte Programm unserer US-amerikanischen Schwesterorganisation Black Rose Anarchist Federation war uns dabei eine große Inspiration.
Weitere Themen auf dem Kongress waren eine Überarbeitung unseres bisherigen Aufnahmeprozesses sowie einiger weiterer Details unserer Organisationsstruktur, der Krieg in der Ukraine sowie die Reflexion unserer Föderationsstrukturen. Weitere drängende Themen wie die Entwicklung unserer Praxis in den sozialen Kämpfen konnten aufgrund der zeitlichen Begrenztheit des Wochenendes bedauerlicherweise nicht besprochen werden und müssen deshalb in den nächsten Monaten wieder aufgegriffen werden.
Besonders glücklich sind wir über die großen Schritte, die wir in der Entwicklung unserer Diskussionsprozesse mit diesem Kongress gegangen sind. Die Abstimmungen der Lokalgruppen und der Deligierten untereinander funktionierte bei diesem Kongress weit besser als auf den vorherigen und entwickelte sich auch im Laufe des Kongresses noch positiv weiter. Die Diskussionskultur blieb dabei auch dort wo Differenzen auftraten stets respektvoll und sachlich.
Die Abende verbrachten wir in gemütlicher Stimmung am Lagerfeuer und beim gegenseitigen entspannten Gespräch. Viele neue Mitglieder hatten das erste Mal die Chance ihre Genoss:innen aus anderen Teilen des Landes live zu treffen und viele “altgediente” Genoss:innen freuten sich einander endlich einmal wiederzusehen. Für uns sind die Kontakte und Freund:innenschaften, die wir untereinander pflegen nicht zweitrangig. Ebenso wie das Programm, das wir erarbeiten wollen, sind sie Fundament unserer Organisation und unserer Praxis. Sie motivieren uns, unsere Ideen in die Tat umzusetzen, weil wir sehen, dass in anderen Städten Genoss:innen an der gleichen Vision einer starken, überregionalen anarchistischen Organisation arbeiten.
Ebenfalls motivierend waren die vielen Grußworte, die uns auch dieses Mal wieder aus verschiedenen Teilen der Welt von befreundeten Organisationen unserer Strömung erreichten und die am Morgen der beiden Kongresstage vorgetragen wurden. An dieser Stelle sei beispielhaft das Grußwort unserer lateinamerikanischen Genoss:innen der Lateinamerikanischen Anarchistischen Koordination (CALA) dokumentiert:
Vor 97 Jahren veröffentlichte eine Gruppe von russischen Anarchist:innen im Exil ein Dokument, das die Geschichte des Anarchismus für immer verändern sollte: die Organisationsplattform der Allgemeinen Anarchistischen Union.
Jahre zuvor fand in Brasilien einer der größten Streiks statt, den das Land je gesehen hat, dank des Einflusses von Anarchist:innen. Zur gleichen Zeit wurde eine Vielzahl von Gewerkschaften in Argentinien und Uruguay durch Anarchist:innen gegründet. Diese Gewerkschaften errangen eine Vielzahl an Siegen, die die Arbeiter:innenklasse bis heute begleiten, wie zum Beispiel den 8-Stunden-Arbeitstag. All das wurde durch dieselben Ideen inspiriert, die auch die Autor:innen des Pamphlets inspirierten.
In Europa sollten die Ergebnisse der spanischen Revolution zeigen, wie wichtig die
Lehren der Dielo Truda-Gruppe für alle Anarchist:innen waren, die für eine wirkliche soziale und politische Veränderung kämpften. Die Jahre, in denen Barcelona und Katalonien frei von staatlicher und kapitalistischer
Unterdrückung lebten, organisiert durch den Einfluss der CNT-FAI, waren ein solider Beweis dafür, dass eine anarchistische Organisation, die in der Lage ist, die Unterdrückten zum Aufbau ihrer eigenen Form der Assoziation und Produktion zu inspirieren, unerlässlich war.Inspiriert von diesen Beispielen haben sich in den 1950er Jahren eifrige Genoss:innen, die das Ideal des Sozialismus und der Freiheit verteidigten und dafür in der ganzen Welt gejagt wurden, in Uruguay versammelt, um unseren Kampf am Leben zu halten.
Sie schufen den Especifismo, eine Theorie, die die Seele des Plattformismus und den Geist der sozialen Kämpfe der Menschen Lateinamerikas in eine neue Art der Auseinandersetzung mit dem Staat, dem Kapitalismus und dem Kolonialismus übertrug.Mit der Wiederbelebung der plattformistischen Tradition in Deutschland trägt jedes Mitglied der Plattform diese ganze Geschichte des unermüdlichen Einsatzes für eine bessere Welt fort. Es ist eine Geschichte, die uns miteinander verbindet. Die Träume von Tausenden anarchistischen Kämpfer:innen auf der ganzen Welt, die Kriege, Verfolgung, grausame Arbeitsbedingungen und die ständige Auszehrung, die der Kapitalismus in unsere Leben bringt, zu überleben, um unser höchstes Ziel endlich Wirklichkeit werden zu lassen: die soziale Revolution.
Zu sehen, wie die Lehren der Organisationsplattform der Allgemeinen Anarchistischen Union in Deutschland Wirklichkeit werden, erfüllt jede:n Anarchist:in in Lateinamerika mit Freude. Es zeigt uns, dass mit historischer Geduld und konstanter Anstrengung für den Aufbau unserer Organisationen der Anarchismus wieder einmal den Weg weisen kann, um endlich die Hydra zu besiegen, die die Unterdrückerklasse geschaffen hat. Gemeinsam können Anarchist:innen auf der ganzen Welt dieses Ziel und unseren Weg zum Sieg über den Kapitalismus, den Staat, das Patriarchat, den Rassismus und jede Form der Unterdrückung, die zwischen den Unterdrückten und dem Leben, das wir verdienen und für das wir kämpfen, steht: ein Leben in Freiheit und Gleichheit.
An diesem wichtigen Tag in der Geschichte des Anarchismus gratulieren wir, die Lateinamerikanische Anarchistische Koordination, dem Kongress unserer Schwesterorganisation Die Plattform.
Euer Wachstum und euer Aufbau in den vergangenen Jahren sind ein Beispiel für Anarchist:innen auf der ganzen Welt!¡Arriba lxs que luchan! (Es leben die die kämpfen!)
Wir blicken alles in allem also auf ein anstrengendes Wochenende zurück. Ein Wochenende, das wir nun gemeinsam reflektieren, um beim nächsten Kongress unsere Diskussionsprozesse noch effektiver und transparenter zu machen. Und obwohl in vielerlei Hinsicht sicher noch Luft nach oben existiert, war es doch ein Wochenende, das uns Hoffnung macht, eine stabile, langfristig aktive anarchistische Organisation weiter aufbauen zu können. Eine Organisation, die uns die Basis gibt, um in den kommenden Monaten und Jahren die Arbeit für die Selbstorganisation der Unterdrückten und den Aufbau der Gegenmacht von unten noch viel stärker zu entwickeln. Wenn du Teil dieses Wegs, Teil einer überregionalen, klassenkämpferischen anarchistischen Föderation werden möchtest, dann schließ dich uns an! Auf dem steinigen Pfad vorwärts können wir jeden Menschen, der mit uns fragend auf ihm voranschreiten will, mehr als nur gebrauchen.
Es lebe die anarchakommunistische Föderation!
Es lebe die Plattform!
Gemeinsam voran zum freiheitlichen Kommunismus!