Morgen, am 8. Juni, wollen die Innenminister:innen der EU bei einem Treffen über eine weitreichende Reform des “Gemeinsamen Europäischen Asylsystems” abstimmen. Es zeichnet sich ab, dass ihr Beschluss einen weiteren, großen Schritt in Richtung der endgültigen Abschaffung des in den letzten Jahrzehnten erfolgreich ausgehöhlten Menschenrechts auf Asyl bedeuten wird.
Im Zentrum der bisherigen Reformpläne steht der Vorschlag, alle Menschen, die die EU-Außengrenzen auf der Suche nach Asyl erreichen, künftig nicht mehr einreisen zu lassen, sondern sie direkt an der Grenze festzuhalten. Dort sollen die Asylsuchenden ihre Anträge auf Asyl stellen und warten bis über diese entschieden wurde. Ihre “Wartezeit” sollen die Asylsuchenden dabei in haftähnlichen Bedingungen in Lagern verbringen. Die Hölle von Moria soll als Vorbild dienen für die nächste Etappe der europäischen Abschottung. Eine unabhängige und solidarische Unterstützung von Asylsuchenden oder gesellschaftlicher Protest gegen ihre Unterbringung wäre so praktisch unmöglich.
Zusätzlich soll der Kreis “sicherer Drittstaaten” ausgeweitet werden. Das Ziel ist, noch mehr der Asylsuchenden abschieben zu können, die selbst nach den menschenverachtenden Vorgaben der EU ein Recht auf Aufnahme hätten. Sie können dann in angeblich sichere Nicht-EU-Staaten zurückgeschickt werden, aus denen oder durch die sie vorher geflohen sind. Zukünftig sollen dazu auch Staaten gehören, in denen nur manche Landstriche “sicher” sind oder in denen nur minimalste “Existenzsicherungen” gegeben sind.
Es wird immer deutlicher, dass die EU ihre Migrationspolitik vollständig auf die Verhinderung jeder Grenzüberquerung und die maximale Ausweitung der Abschiebemöglichkeiten fokussiert. Geflüchtetenorganisationen und solidarische Initiativen sprechen zurecht von einer faktischen Abschaffung des Asylrechts.
Nur das nächste Kapitel einer mörderischen Strategie
Und der deutsche Staat? Die Bundesregierung hat bereits Ende April bekannt gegeben, dass sie der Reform zustimmen wird und zeigt so deutlich, wie der “Neuanfang der Migrationspolitik” aussieht, den sie im Koalitionsvertrag angekündigt hat: Die Militarisierung der EU-Grenzen im Sinne der rassistischen staatlichen Abschottungspolitik soll um jeden Preis fortgesetzt werden.
Auch wenn klar ist, dass die weitere Verschärfung der Grenzpolitik eines der zentralen Projekte der europäischen (extremen) Rechten und der ihr zugehörigen Regierungen in Staaten wie Italien, Polen oder Ungarn ist, zeigt sich hier, dass im Ergebnis nur ein kleiner Unterschied zwischen den offen rassistischen Regierungen dieser Staaten und den sogenannten “liberalen” Regierungen im restlichen Europa besteht.
Das liegt daran, dass für die herrschende Klasse in Europa diese Grenzpolitik keine Frage moralischer Überzeugungen, sondern materieller Interessen ist. Kapitalistische Produktionsweise, zwischenstaatliche Konkurrenz, innerstaatliche politische Verfolgung und das imperialistische Agieren der europäischen Staaten mit dem deutschen Staat als mächtigstem Akteur verursachen Klimakrise, Krieg, Unterdrückung und bittere Armut in den Ländern Afrikas und des Nahen Ostens. Die resultierenden Fluchtbewegungen in die reichen industriellen Zentren stellen eine Bedrohung der bisher vorherrschenden relativen Ruhe im Hinterhof der herrschenden Klasse Europas dar. Denn obwohl das europäische Kapital neue Niedriglohn-Arbeitskräfte braucht, sind die Staaten nicht in der Lage, alle Migrant:innen in den Arbeitsmarkt zu “integrieren” und sie erfolgreich zu kontrollieren. Es entspricht den materiellen Interessen der dominierenden Fraktionen des Kapitals und der politischen Klasse, die Migrationsbewegungen zu kontrollieren, zu begrenzen und nur die am besten verwertbaren Menschen hineinzulassen.
Diese materiellen Interesse fallen dabei zusammen mit einer sich verschärfenden rassistischen Mobilmachung, die die Brutalität der Grenzpolitik weiter befeuert. Die europäische (extreme) Rechte befindet sich seit 2015 im Aufschwung und profitiert von rassistischen Stimmungen in breiten Teilen der europäischen Bevölkerungen. In Staaten wie Polen, Ungarn und Italien führt sie bereits Regierungen an, die die europäische Abschottung mit aller Macht vorantreiben. Aber auch im übrigen Europa hetzt sie mit aller Kraft gegen Migrant:innen und für die “Festung Europa”. Es ist auch dieser wachsende Druck von rechts, der die Regierungen zu immer neuen Verschärfungen der Abschottung treibt.
Deshalb schließen sie Deals mit Erdogan, errichten Lager an den Grenzen, schicken Frontex-Banden auf Menschenjagd und kriminalisieren unabhängige Seenotrettung.
Der Kampf gegen die Abschottungspolitik ist ein Kampf gegen dieses System
Ein Appell an die “liberalen” Demokratien Europas, wie ihn manche NGOs jetzt üben, ist deshalb verfehlt. Der Kampf, um den es geht, ist nicht der Kampf guter gegen schlechte Regierungen, sondern der Kampf gegen das System, das diese Abschottungspolitik notwendigerweise hervorbringt. Der Kampf gegen Rassismus und Grenzen an sich, gegen die Staaten, die sie ziehen und gegen das Kapital, dem sie dienen. Für uns hier in Europa muss dieser Kampf bedeuten, unseren eigenen Staaten und ihrem Imperialismus in den Rücken zu fallen; Geflüchtete auf ihrem Weg hierhin zu unterstützen und mit ihnen die Stimme gegen die mörderische Politik der europäischen Staaten und den herrschenden Rassismus zu erheben; und in Solidarität mit den unterdrückten und ausgebeuteten Klassen Afrikas und des Nahen Ostens für ein gutes Leben für alle Menschen auf dieser Welt zu kämpfen.
Die neue Asylreform wird diesen Kampf schwerer, sie wird ihn aber auch noch notwendiger machen. Sie wird es noch unerlässlicher machen, dass sich Solidaritätsbewegungen in verschiedenen europäischen Ländern vernetzen und sie wird die Ausweitung des Kampfs auf weitere Teile unserer Klasse notwendiger machen. Der Kampf gegen die Grenzen kann nicht nur an ihnen, sondern muss hier vor jeder Unterkunft, jedem Amt und jedem Abschiebeknast geführt werden. Nicht nur durch politische Solidaritätsbewegungen, sondern auch durch Nachbarschaftskomitees und kämpferische Gewerkschaften.
Gegen das EU-Grenzregime und seine Architekt:innen.
Für eine international vernetzte Bewegung von unten.
Für eine Welt ohne Grenzen, Rassismus und Staaten.
Für eine Welt, in der niemand fliehen muss!