Anlässlich des 1. Mai 2023 haben wir zusammen mit unseren europäischen Schwesterorganisationen eine Erklärung verfasst. Sie umreißt knapp die zentralen Grundlagen unseres libertären Kampfes und des Gesellschaftsprojekts, für das wir kämpfen. Die Erklärung unserer lateinamerikanischen Schwesterorganisationen findet ihr auf der Website der uruguayaischen Genoss:innen.
Jedes Jahr am ersten Mai gedenken wir des Chicagoer Streiks von 1886, der in den so genannten Haymarket Riots gipfelte. Der Streik endete mit der Entlassung von Tausenden von Arbeiter:innen und vielen Verletzten, von denen die große Mehrheit Einwanderer:innen aus Europa waren. Diese Massenmobilisierung wurde von den Behörden mit äußerster Härte bekämpft, die daraufhin die fünf “Chicagoer Märtyrer”, Gewerkschafter und militante Anarchisten, hinrichteten.
Chicago war der Ausgangspunkt einer weltweiten Bewegung zur Durchsetzung des 8-Stunden-Arbeitstages, die sich über Jahrzehnte hinzog. Die Arbeiter:innenklasse hat dieses Ziel dank des Kampfes erreicht, nicht dank der Entscheidungen von Parlamenten. Die meisten unserer Rechte werden durch die Offensive der Kräfte von unten erkämpft. Erst wenn der Kampf aufhört, ändert sich das Kräfteverhältnis, und die herrschende Klasse beginnt, Rechte zu beschneiden.
Jahrzehntelang war die herrschende Klasse Europas als Teil des imperialistischen Kerns in der Lage, den grundlegenden Lebensstandard “ihrer” Arbeiter:innenklasse durch koloniale und imperialistische Ausbeutung des globalen Südens zu sichern, mit dem Ziel, den Widerstand in ihrem eigenen Hinterhof zu untergraben. Obwohl diese Ausbeutung und Unterdrückung weiterhin besteht, können wir feststellen, dass selbst dieser Lebensstandard immer mehr angegriffen wird: Wir müssen immer mehr arbeiten, um den gleichen Lohn zu bekommen, unser Lebensstandard sinkt durch die Inflation, unsere Renten werden gekürzt oder das Rentenalter wird erhöht. Seit einigen Jahren erleben wir einen Prozess der Enteignung der Arbeiter:innenklasse, der sich durch die verschiedenen Krisen, die sich gegenseitig verstärken, noch beschleunigt.
Wir haben die Produktionskrise nach der Pandemie, die Energiekrise, die Wohnungskrise, die Krise der zunehmenden Ressourcenknappheit und die Klimakrise. Sie alle werden eine Zeit des Wandels hin zu einer anderen Art von Zivilisation markieren und sie alle bringen uns neue Konflikte, die sich auf dem Gebiet der Geopolitik entwickeln können. In diesem Sinne wollen wir den schrecklichen Krieg in der Ukraine nicht vergessen, wo sich die großen Weltmächte seit mehr als einem Jahr gegenseitig an die Gurgel gehen und massenhaft Tod und Verwüstung anrichten.
Der soziale Anarchismus ist sich bewusst, dass wir Lohnabhängige durch parlamentarische Kämpfe keine wesentlichen Verbesserungen unserer Lebens erwarten können. Im Gegenteil, in Zeiten der Knappheit wachsen autoritäre Ungeheuer. Die rechte Ideologie markiert einzelne Teilgruppen der vilefältigen Arbeiter:innenklasse als Feinde: Einwanderer:innen, die LGTBI-Community, Rom:nja und Sinti:ze oder auch Feminismus und Umweltschutz.
Wir können nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass die anarchistische Bewegung immer an der Seite der unterdrückten Menschen und sozialen Gruppen stehen wird und dass wir glauben, dass die kollektive Selbstverteidigung gegen den Autoritarismus ein Mittel zum Aufbau einer besseren Welt ist, die notwendigerweise Vielfalt, Brüderlichkeit zwischen den Menschen und den Aufbau einer freien und sozialistischen Gesellschaft beinhaltet. Der Anarchismus ist ein ständiges Bemühen um Emanzipation durch direkte Massenaktionen, durch verschiedene, aber zusammengeschlossene und kohärente soziale Kämpfe, die das Kräfteverhältnis aufbauen, das die radikalen Veränderungen ermöglicht, die wir brauchen.
Wir, die europäischen anarchistischen Organisationen, die dieses Communiqué unterzeichnen, wünschen der gesamten Arbeiter:innenklasse in Europa und der Welt einen frohen und kämpferischen 1. Mai.
Für den Aufbau von Gegenmacht von unten!
Es lebe die Anarchie!
Es lebe der libertäre Kommunismus!
Es lebe der 1. Mai!