Heute ist der 1. Mai, weltweiter Kampftag der Arbeiter*innenklasse. Wir haben das zum Anlass genommen, um einen Text zu schreiben, in dem wir uns mit der gegenwärtigen politischen Situation in Deutschland auseinandersetzen und als organisierte, klassenkämpferische Anarchist*innen einige Handlungsschritte benennen.
Den Text haben wir für euch auch eingesprochen, so dass ihr ihn euch auf unserem YouTube-Kanal anhören könnt.
Viel Spaß dabei!
Heraus zum 1. Mai – Tag unserer Klasse!
Heute ist kein Tag wieder jeder andere. Der 1. Mai ist kein Tag wie jeder andere. Nein, der 1. Mai, das ist nun schon seit über 130 Jahren der Tag, an dem sich weltweit Arbeiter*innen und andere Lohnabhängige die Straße nehmen, um für ihre Interessen und eine bessere Welt jenseits des Kapitalismus zu demonstrieren. Der 1. Mai ist der Kampftag unserer Klasse, der Arbeiter*innenklasse. Der Kampftag derjenigen, die auf ihrem Rücken diese Gesellschaft tragen und am Laufen halten – und doch stets die Schikanierten, die Missachteten, die Erniedrigten und Zurseitegeschobenen, die Unterdrückten und Ausgebeuteten sind. Es ist der Tag, an dem wir Perspektiven aufzeigen einer anderen Gesellschaft und unseren Widerstand gegen die herrschenden Zustände auf die Straße tragen.
Doch trotz all dieser Tradition und Bedeutung des Tages: In diesem Jahr ist wie schon in dem davor, so vieles ganz anders als sonst. Wie schon im Mai 2020 befinden wir uns auch am heutigen Tag inmitten einer tödlichen Pandemie. An Corona sind in Deutschland seit Beginn 2021 bereits mehr Menschen gestorben, als im ganzen Jahr 2020. Insgesamt sind in Deutschland bisher fast 80.000 Menschen der Pandemie zum Opfer gefallen. Eine Zahl, die uns betroffen macht und doch höchstens die Spitze des Eisbergs ist, denn die Lohnabhängigen in Südeuropa und vor allem in den Staaten außerhalb der industriellen Zentren, hat die Pandemie noch weitaus erbarmungsloser getroffen. Diese schreckliche Bilanz kommt aber nicht von ungefähr, im Gegenteil. Sie ist die direkte Folge eines katastrophalen staatlichen Umgangs mit der Pandemie.
Seit nun schon über einem Jahr bekommen die Herrschenden das Virus einfach nicht in den Griff. Stattdessen taumeln wir seit geraumer Zeit scheinbar ziellos von Lockdown zu Lockerung und von Lockerung zu Lockdown. Verständlich, dass mittlerweile die Unzufriedenheit über das Management der Politik immer mehr Menschen unserer Klasse erreicht. Viele können nicht verstehen, was das alles soll und warum eine Regierung, die mit unfassbaren Machtmitteln ausgestattet ist, nicht in der Lage sein soll, dieser Krise effektiv zu begegnen. Dass jetzt auch noch aufgedeckt wurde, wie sich einige korrupte Politiker*innen auf Kosten der Menschen selbst bereichert haben, ist für viele nur noch das i-Tüpfelchen auf einem ganzen Berg voll Versagen der staatlichen Politik.
Aber Korruption ist nicht der Grund, warum es bei der Bekämpfung der Pandemie nicht so recht vorangehen will. Der oben erwähnte “Lockdown” betrifft nämlich keineswegs alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Er betrifft in erster Linie alle Lebensbereiche, in denen wir Lohnabhängige keinen direkten Nutzen für die kapitalistische Ordnung erbringen. So schließen Städte beispielsweise Parks und Spielplätze, wo wir uns sonst mit Freund*innen getroffen hätten, verbieten Zusammenkünfte im privaten Rahmen und schränken das Versammlungsrecht ein. All diese Dinge finden in unserer Freizeit statt, in der die Kapitalist*innen keinen Profit aus unserer Arbeit abschöpfen können. Ganz anders jedoch der Umgang des Staates mit unserer Arbeitszeit. Hier gibt es keine verpflichtenden Betriebsschließungen, sondern “Empfehlungen” an die Bosse, uns Arbeiter*innen doch bitte ins Homeoffice oder alternativ ins “mobile Arbeiten” zu schicken. Was passiert natürlich nur allzu oft: Nichts. Welche Chefin kümmert sich schon darum, ihre Untergebenen ins Homeoffice zu schicken, wenn das nur bedeutet, dass sie das alles erstmal kostspielig einrichten muss. Und viele Jobs können auch gar nicht von zu Hause gemacht werden. So stehen dann die Kolleg*innen auch weiterhin zu Hunderten am Band. In vielen Betrieben – gerade dort, wo migrantische und andere marginalisierte Menschen beschäftigt sind – sind die Schutzkonzepte mangelhaft, Infektionen sind an der Tagesordnung.
In der Pandemie zeigt sich mehr als deutlich, wie die Dinge im Kapitalismus funktionieren: Was den Staat interessiert ist die (nationale) Wirtschaft, ihr Profit und seine Steuereinnahmen. Alles andere ist höchstens zweitrangig, meistens auch komplett egal – darunter auch wir, unsere Gesundheit, letztlich unser Leben. Und so ist es eben dann doch kein Lockdown, wie es von Medien und Politik gerne dargestellt wird, sondern höchstens ein “Freizeit-Lockdown”. Aber auch diesen Freizeit-Lockdown dürfen wir nicht verharmlosen. Er stellt einen extremen Eingriff in unsere Freiheiten dar, unter dem unzählige Menschen leiden. Die Isolation, die Langeweile verschlimmert das Problem der Vereinzelung in der kapitalistischen Gesellschaft. Psychische Leiden nehmen stark zu. Auch schon dieser Lockdown macht uns fertig, belastet viele enorm – wenn auch nicht alle gleich. Frauen*, inter-, nichtbinäre und trans*-Menschen leiden weiter unter dem Patriarchat und bekommen in der Pandemie eine vielfache Belastung zu spüren da ihnen oftmals die gesteigerten Aufgaben in der Sorge-Arbeit zugeschoben werden, sie mehr Gewalt in den eigenen vier Wänden ausgesetzt sind und noch dazu überproportional in den Berufen vertreten sind, die an vorderster Front gegen die Auswirkungen der Pandemie und der verfehlten staatlichen Krisenpolitik kämpfen.
Zur grundsätzlichen Unfähigkeit des Kapitalismus, auf akute Krisen wie Pandemien effektiv zu reagieren, kommen weitere Probleme, die wir gerade besonders zu spüren bekommen. Der Pflegenotstand, der jetzt mal wieder in aller Munde ist, kommt nicht von ungefähr, sondern ist die konkrete Auswirkung von Kommerzialisierung und Kaputtsparpolitik im Gesundheitssektor. Über Jahre wurde hier versucht, Gesundheitsversorgung zur profitablen Ware zu machen, weshalb Personal systematisch abgebaut wurde. Das verschlechtert nicht nur die Möglichkeiten, Corona-Patient*innen gut zu behandeln, sondern treibt viele Pflegekräfte in die Überarbeitung und den Burnout. Dass der Staat, der sich selbst immer gerne als alternativlos verkauft, die längst überfällige Impfkampagne nicht auf die Reihe kriegt, tut das Übrige.
All das zeigt: Die Pandemie war lediglich Auslöser dieser Krise, aber ihr Ursprung liegt im System. Der Kapitalismus selbst ist es, der zyklisch von Krise zu Krise führt. Die Corona-Pandemie sorgt aktuell dafür, dass einige Wirtschaftszweige (vor allem im Dienstleistungssektor, z.B. Gastronomie, kleiner und mittlerer Einzelhandel, Kulturbranche, Tourismus, Luftverkehr und andere) und die von ihnen abhängigen Lohnarbeiter*innen in existenzielle Nöte geraten sind. Andere Branchen erleben hierzulande nach einem kurzen wirtschaftlichen Einbruch zu Beginn der Pandemie gerade wieder ein Hoch, zum Teil durch erhebliche staatliche Zuschüsse, durch Sonderregelungen (z.B. Kurzarbeit), auf Kosten der Lohnabhängigen und eines wieder anziehenden Exports, nachdem weltweit wirtschaftliche “Lockdowns” zurückgefahren werden. Und trotzdem, oder auch nur die Chance nutzen wollend, werden erste Rufe laut, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Kapitalistische Krisen werden immer von den Lohnabhängigen getragen. Ob es sich um die zyklischen Krisen der Überproduktion handelt oder durch eine die Wirtschaft nur mit Samthandschuhen anfassende “Lockdown”-Politik. Klar ist, dass der Standort Deutschland in der Weltmarktkonkurrenz auf Kosten der Gesundheit und der finanziellen Lage der Lohnarbeiter*innen geschützt und gestützt wurde und wird. Das nun noch das Renteneintrittsalter erhöht werden soll ist nur ein weiteres Symbol eines nicht reformierbaren Wirtschaftssystems.
Ein Blick auf diese nüchternen Fakten, ein Blick auf die Titelseiten der Zeitungen und in das Abendprogramm des Fernsehens sollte mittlerweile eigentlich genügen, um zu erkennen, dass etwas mit diesem System nicht richtig ist. Dass Profit über das Glück, die Gesundheit, gar das Leben von uns Lohnabhängigen gestellt wird, ist kein Naturgesetz, sondern die kaputte Logik des Kapitalismus. Dieses System, das uns Lohnabhängige gegeneinander ausspielt, das uns fertig macht, jeden Tag im Jahr und dass uns durch seinen Umgang mit der Pandemie all diese Probleme eingebrockt hat, hat keine Zukunft. Im Gegenteil, es zerstört diese Zukunft sogar und das unmittelbar vor unseren Augen, indem es den Raubbau am Planeten und die Zerstörung der Klimas zu Profitzwecken vorantreibt. Weil der Kapitalismus keine Zukunft hat, braucht es Alternativen zu diesem System.
Wir wollen eine Gesellschaft, in der nicht mehr die Erwirtschaftung von Profit auf Kosten der Vielen zugunsten der Wenigen das oberste Ziel ist, sondern die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse. Wir wollen eine solidarische, freie Gesellschaft, die den Einzelnen als Teil der Gemeinschaft die größtmögliche Entfaltung ihrer Persönlichkeit und Interessen erlaubt. Wir wollen diese Gesellschaft selbst organisieren im Verbund mit unseren Nachbar*innen, Kolleg*innen und Freund*innen überall auf der Welt, kollektiv und von unten, nicht durch einen Staat von oben herunterdiktiert. In dieser Gesellschaft wollen wir die heutige patriarchale Unterdrückung aufheben; die Überwindung traditioneller Geschlechterrollen, die die freie Entfaltung der Persönlichkeit hemmen, ist unser Ziel. Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus erkennen wir als Todfeinde jeglicher Befreiung an, weshalb wir sie energisch bekämpfen und langfristig überwinden müssen. Wir wollen als Gesellschaft Möglichkeiten finden, nachhaltig mit den vorhandenen Ressourcen unseres Planeten umzugehen, um ihn für zukünftige Generationen zu bewahren. Wir nennen all das anarchistischer Kommunismus und es ist unsere Vision einer anderen, besseren Gesellschaft.
Aber diese Alternative zur herrschenden Ordnung wird nicht einfach vom Himmel fallen. Es gilt an der Befreiung zu arbeiten und langfristig revolutionäre Gegenmacht der arbeitenden Klasse aufzubauen. Diese entsteht überall dort, wo wir Lohnabhängigen zusammenkommen und uns organisieren für unser Interessen und deshalb natürlicherweise gegen die der Herrschenden. Es gibt unzählige Orte und Kämpfe, an denen wir ansetzen können: Gewerkschaften, Mieter*inneninitiativen, feministische Streiks, Klimaaktionen, antirassistische Bewegungen. Lasst uns überall dort und anderswo den Kampf für eine bessere Zukunft, unsere Zukunft beginnen – gerade angesichts dessen, dass die Herrschenden schon jetzt daran arbeiten unserer Klasse die Kosten dieser Krise aufzuhalsen. Diese Bestrebungen müssen wir organisiert als Klasse abwehren und den Spieß im Klassenkampf endlich wieder umdrehen!
Und lasst uns dabei nicht vergessen, dass wir in diesem Kampf niemals alleine stehen. Wenn wir heute auf die Straße gehen, dann sind wir in Gedanken bei allen Kämpfenden weltweit und ganz besonders bei unseren anarchistischen Genoss*innen, die egal ob in Melbourne, Thessaloniki, Paris, Buenos Aires oder Santiago ebenfalls auf den Beinen sind und mit uns den Ruf für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, ohne Staat und Kapitalismus, erheben!
Nein, aus Pandemie, Lockdown und Krise führt kein leichter Weg. Der einzige Weg, der aus dieser Situation heraus führt, heißt Organisation, Klassenkampf und Revolution! Lasst es uns gemeinsam anpacken!
Es lebe der Kampf für die befreite Gesellschaft, es lebe der 1. Mai!
Für die soziale Revolution, für den anarchistischen Kommunismus!