Am 24.01.2020 wird es in vielen Städten Protestkundgebungen unter dem Motto “Fridays gegen Altersarmut” geben. Es gibt starke Anzeichen, dass mindestens Teile davon von Rechten instrumentalisiert werden, um das Thema zu besetzen. Auch die Aneignung des Namens und des Logos der Klimabewegung „Fridays for Future“ legen den Verdacht nahe, dass Umwelt und Soziales gegeneinander ausgespielt werden sollen.
Der Kampf gegen Altersarmut und das sozial ungerechte Rentensystem wird schon seit Jahrzehnten geführt. Er wird getragen von engagierten Rentner*innen, linken Aktivist*innen und Gewerkschaften. Wenn jetzt noch mehr Menschen das Thema für sich entdecken, wäre das sehr zu begrüßen; aber nicht, wenn sie sich von AfD und Co. einreden lassen, nach noch weiter unten zu treten – anstatt nach oben hin aufzubegehren.
Um die heutige Situation der Altersarmut (gefährdet sind mehr als 2,4 Millionen Menschen in Deutschland) zu verstehen, müssen wir einen Blick zurück auf die rot-grüne Bundesregierung (1998 – 2005) werfen. Im Rahmen ihrer berüchtigten Agenda 2010-Politik “reformierte” diese Regierung – mit freundlicher Unterstützung von FDP und CDU/CSU – unter Kanzler Schröder das Rentensystem von Grund auf und formte es zu dem heutigen “Drei-Säulen-Modell”. Diese Säulen sind: 1. – die gesetzliche Rente (umlagefinanziert) 2. – die betriebliche Rente (verschiedene Modelle) und 3. – die private Rente (z.B. Riester – kapitalgedeckt). Vor Rot-Grün dominierte die gesetzliche Rente.
In neoliberaler Manier wurde zugunsten des Kapitals und um der “lame duck” (oder auch “dem schwachen Mann Europas”) Deutschland wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen, die “gesetzliche Säule” geschröpft, um die “private Säule” zu stärken. Zusammengefasst: Der Mehrwert, den Unternehmen durch Sozialabgaben hatten, wurde einerseits durch deren Senkung und andererseits über Subventionierung der privaten Rente und damit der Versicherungsindustrie an das Kapital zurückgeführt. Die Umlage geschieht nicht zugunsten der Rentner*innen, sondern zugunsten des Kapitals. Das Ganze geschah unter dem Deckmantel von “Selbstverantwortung” und “mehr Netto vom Brutto”.
Liberale, Konservative und die extreme Rechte, also FDP, CDU/CSU und AfD halten auch heute noch am beschriebenen neoliberalen Dogma nach Logik des Kapitals fest: Zuerst die Ökonomie, dann irgendwann der Mensch. In der AfD gibt es sogar eine stetig vertagte Auseinandersetzung darum, wer unsozialer sein darf: Die offen neuen (alten) Nazis um den völkischen “Flügel” (was laut Gauland die Mitte der Partei darstellt) oder der neoliberale Flügel um Weidel, Meuthen und Co. Die Einen vermengen ein paar geklaute, linke Ideen für den sozialen Schein damit, auf rassistischer Grundlage große Teile der Bevölkerung aus der gesetzlichen Rente auszuschließen und die Lebensarbeitzeit für alle massiv zu verlängern. Die Anderen wollen das bestehende Dogma nochmal krass zugunsten von Wirtschaft und Privatversicherung verschärfen. Lösungen liefern sie also keine, sie unterstreichen nur weiter ihre Menschenfeindlichkeit!
Zur “Abfederung” der nicht mehr absichernden gesetzlichen Rente wurde mittlerweile die Grundsicherung eingeführt. Diese gibt es für Rentner*innen, die erstens nicht mehr als den „unglaublichen Reichtum“ von 5000 Euro ihr Eigen nennen können und zweitens eine Rente bekommen, die unter dem Hartz4-Satz liegt. Die Grundsicherung soll den Erhalt des Existenzminimums garantieren, wobei wir alle wissen, dass hier systematischer gesellschaftlicher Ausschluss und Schlimmeres (z.B. Krankheit) erfolgt.
Mensch soll sein Leben lang in Form von Lohnarbeit oder als Arbeitslose*r der rechtlosen “Reservearmee” des Kapitals dienen und wer das nicht erfolgreich macht, ist auch nichts wert. Wer auf dem “Arbeitsmarkt” (was für eine elende Beschönigung für die Degradierung des Menschen zur Ware), aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage war sich teuer zu verkaufen, ist nicht nur vor, sondern auch nach der Rente arm!
Die Sozialdemokrat*innen, die ja für die aktuelle Situation so gar nichts können, kommen nun mit einer Grundrente um die Ecke, die dem klassischen calvinistischen Arbeitsethos das Wort redet. 35 Jahre muss mensch sich ausbeuten haben lassen (oder für eine noch geringere Grundrente zumindest 33 Jahre, bei weniger Arbeitsjahren gibt es keine Grundrente) um ein paar Euro über der Grundsicherung zu landen. Schlimm genug, dass die SPD die Arbeiter*innen verraten hat, dazu noch scheißen sie aus vollem Herzen auf die Armen. Das Credo der Politik scheint zu sein: Arme gehören an die Ränder der Gesellschaft, sie werden zum Sterben aus den Blicken der “Funktionierenden” geschoben! Firmen entwickeln unterdessen Slogans wie “Pfand gehört daneben” und Bezirke in Städten stellen Bierkisten zu Mülleimern – die Rentner*innen sollen ja nicht im Dreck wühlen müssen, wenn sie schon im Dreck lebt!
Wie gesagt: Seit Jahrzehnten ist dieses Thema regelmäßig auf der Agenda. Von links wird die Problematik immer wieder benannt. Und “Problematik” ist bei weitem eine Verniedlichung.
Eine der oft genannten Alternativen (erinnern an die Systeme in den Niederlanden oder – noch – Österreich) ist die sogenannte “Bürgerversicherung”. Die gesamte Bevölkerung soll einzahlen, mit Sozialabgaben auf das Brutto und zusätzlich wird das ganze mit Steuern unterfüttert. Eine Möglichkeit ist hier, eine Mindestrente von z.B. 1500 Euro und eine Maximalrente von, sagen wir, 2500 Euro einzuführen. Dies wäre eine klassische – früher hätten wir es sozialdemokratische Politik genannt – Umverteilung von Oben nach Unten. Klar, dass hier das Kapital und insbesondere die Versicherungsindustrie aufschreien. Zusätzlich nimmt diese Alternative der Gegenwart auch etwas ganz Entscheidendes, nämlich Druck und Angst in der Klasse der Lohnabhängigen. Dieser Druck und diese Angst sind das Schmiermittel des Arbeitsmarktes. Die Angst vor dem “sozialen” Abstieg lässt Menschen viel zu viel ertragen!
Des Weiteren entzieht diese Möglichkeit, wie erwähnt, dem Kapital Profit. Und das führt zu einem Nachteil für deutsches Kapital in der Konkurrenz um und im Weltmarkt. Aus ökonomischer Sicht sind arme Rentner*innen egal. Aber arme Rentner*innen, die gesellschaftliche Solidarität einfordern und erhalten, sind eine Gefahr!
Genau auf diesem Wissen basierend wurde unter Rot-Grün, Zitat Gerhard Schröder: “der größte Niedriglohnsektor in ganz Europa…” geschaffen – ja, das habt ihr, ihr Arschlöcher.
Die “lame duck” kann wieder watscheln, aufgebaut auf der Lebenszeit von Millionen Lohnsklav*innen, welchen die Altersarmut in der Zukunft zuwinkt und ihnen ins Gesicht sagt: du bist Ware – nicht Mensch!
Was jedoch noch aus der Zukunft winkt, ist der, ebenfalls vom Wirtschaften ohne jede Rücksicht produzierte, Klimawandel, der insbesondere Armen und alten Menschen am stärksten zusetzen wird.
Wollen wir hier Veränderung, können wir uns lange um das richtige “System” im falschen Kapitalismus streiten. Wichtiger ist aber, endlich den Druck und die Angst von den Menschen auf die Herrschenden zu verlagern. Dieser Druck muss von der Straße kommen, er muss ökologisch sowie antifaschistisch sein – denn die “gute Rente” und das Recht auf Zukunft gilt es für ALLE zu erkämpfen!
Mit wütendem Gruß – eure plattform!