Auf explizite Einladung hin nahmen wir am 23.11. an einer Solidaritätskundgebung für die Kämpfe gegen das iranische Mullahregime teil, die am Samstag, dem 23.11. vor den Katharinentreppen am Dortmunder Hauptbahnhof stattfand. Während zu Anfang gerade einmal 40 Menschen der Kundgebung beiwohnten, schwoll die Menge über die Dauer auf mindestens 100 Personen an. Der größte Teil der Parolen und Plakate wurde auf Persisch vorgetragen und leider gab es auch keine vorbereiteten deutschsprachigen Redebeiträge bzw. Flugblätter, um Passant*innen über das Anliegen der Kundgebung aufzuklären. Auf Wunsch der Organisator*innen und aus eigenen Antrieb heraus veranlasste uns dies, den einzigen deutschsprachigen Redebeitrag auf der Kundgebung zu halten – ihr findet ihn am Ende des Berichts angehängt.
Zu größeren Unstimmigkeiten kam es im Verlauf der Veranstaltung, als sich immer mehr monarchistische Demonstrant*innen einfanden, die ihre Sympathie mit dem Schah, dem ehemaligen persischen König, zum Ausdruck brachten. Diese Leute waren zu Beginn überhaupt nicht sichtbar, versuchten aber nach und nach durch immer mehr Fahnen, Plakate und Parolen, die Kundgebung für sich zu vereinnahmen. Die Organisator*innen versuchten dies auf unterschiedliche Weise zu unterbinden und so kam es immer wieder zu aufgeheizten Debatten. Im Nachhinein wurden wir auch von zwei deutschsprachigen Teilnehmer*innen der Kundgebung angesprochen, warum wir als Anarchist*innen uns an einer Kundgebung beteiligten, die so sehr von Monarchist*innen geprägt war. Für uns war es aber umso wichtiger, weiter Teil der Kundgebung zu bleiben, auch wenn sich das Bild der Veranstaltung nach und nach gewandelt hat. Wir wollten unsere Freund*innen, die sich klar gegen diese versuchte Übernahme stellten, nicht im Stich lassen. Diese bezogen sich mit einem Plakat positiv auf den demokratischen Konföderalismus, sprachen sich eindeutig für antistaatliche und antikapitalistische Positionen aus und baten uns inständig, uns antimonarchische Parolen auf Deutsch zu nennen. Da die Zeiten, als Deutschland von Königen regiert wurde, bekanntlich lange vorbei sind, hatten wir leider keinen passenden Spruch zur Hand. Schließlich fiel uns “Kein Gott, kein Staat, kein Kalifat!” ein, was von unseren neuen Bundgenoss*innen freudig aufgegriffen wurde. Sie erzählten uns später, dass exiliranische Aktivitäten häufig von Monarchist*innen dominiert würden und dass die Exilgruppen im Allgemeinen viel rückständiger seien als die proletarischen Massen, die im Iran selbst auf den Straßen kämpften. Hier liegt es auch an den deutschen Linken, unseren fortschrittlichen Freund*innen beizustehen, anstatt, wie im Bezug auf den Iran leider allzu oft, aus einem falsch verstandenen Anti-Imperialismus den Protesten gegen das Regime fern zu bleiben! Das Mullahregime ist eine imperialistische und islamistische Diktatur, die mit allen Mitteln gestürzt werden muss. Lasst uns gemeinsam die öffentliche Isolation der Kämpfe im Iran durchbrechen, den vielen Toten gedenken und die Hoffnung auf einen grundsätzlichen Wandel weitertragen. Unterstützt die Klassenkämpfe im Iran und Irak!
Kein Gott – Kein Staat – Kein Kalifat!
Hier die Dokumentation unseres spontan gehaltenen Redebeitrags:
“Liebe Demonstrantinnen und Demonstranten, liebe Bürgerinnen und Bürger Dortmunds,
wir sind heute hier, um unsere Solidarität mit der Protestbewegung im Iran zum Ausdruck zu bringen. Seit über einer Woche kommt es im Iran in vielen Städten zu Demonstrationen, an denen sich Hunderttausende Menschen beteiligen. Die Bewegung beschränkt sich nicht länger auf die Mittelschicht, wie dies bei den Unruhen im Jahre 2009 noch weitgehend der Fall war; sie wird ganz wesentlich von Arbeiter*innen der Kleinstädte und Vororte getragen. Die Proteste entzündeten sich an einer von der Regierung beschlossenen Erhöhung der Benzinpreise. Für viele Menschen, die es ohnehin kaum schaffen, im Alltag finanziell über die Runden zu kommen, war das der
Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Aber natürlich geht es um mehr als um eine einzelne Preiserhöhung: Die Slogans auf den Demonstrationen richten sich gegen Armut und schlechte Lebensbedingungen im Allgemeinen. Es geht auch um die Ausbeutung und die unerträglichen Arbeitsbedingungen in der Industrie, aufgrund derer es in den letzten Monaten und Jahren bereits immer wieder zu Streiks gekommen ist. Es wird auch gegen den religiösen Tugendterror der islamischen Republik protestiert, der das Privatleben durch zahlreiche Ge- und Verbote reglementiert und insbesondere Frauen große Einschränkungen auferlegt. Die Demonstrierenden wenden sich darüber hinaus gegen die Außenpolitik des iranischen Regimes, das für die Finanzierung seiner reaktionären Hilfstruppen in der Region – von den schiitischen Milizen im Irak über Syriens Machthaber Assad bis hin zu Hisbollah und Hamas – Unsummen ausgibt, die die iranische Bevölkerung durch immer neue Entbehrungen bezahlen muss. Die Republik Iran stellt sich gern als “antiimperialistische” Kraft dar, betreibt aber in Wirklichkeit selbst einen äußerst aggressiven Imperialismus.
Das Mullahregime reagierte auf die Proteste mit brutaler Repression. Unmittelbar nach dem Ausbruch der Unruhen wurde im ganzen Land das Internet abgeschaltet – offenbar wollten die Machthaber bei ihren Massakern an der aufbegehrenden Bevölkerung möglichst wenig Zeug*innen haben. Mittlerweile ist von über 350 Toten durch die Gewalt der Sicherheitskräfte die Rede – aufgrund der spärlichen Informationen, die wegen des medialen Blackouts aus dem Land zu erhalten sind, könnte die tatsächliche Zahl erheblich höher liegen.
Vor ungefähr einem Jahr kam es mit der Bewegung der „Gelbwesten“ zu einer der heftigsten sozialen Auseinandersetzungen, die Frankreich in den letzten Jahrzehnten erlebt hat. Auch hier entzündete sich die Wut der Bevölkerung zunächst an einer geplanten Erhöhung der Spritpreise. Dieses Detail verweist darauf, dass die sozialen Verhältnisse in Europa von denen des so fremd erscheinenen Iran in vielerlei Hinsicht gar nicht so verschieden sind: Es ist überall derselbe Kapitalismus, der uns ausbeutet und der uns, gemessen an den objektiven Möglichkeiten, um unser Leben betrügt.
Deshalb fühlen wir uns mit dem Kampf der Menschen im Iran verbunden; ihnen gilt unsere Solidarität.
Nieder mit dem Mullahregime!
Lang lebe der Kampf der iranischen Bevölkerung!
Hoch die internationale Solidarität!”