Kritik ist ein Geschenk. Üblicherweise ist aber gerade dieses spezielle Präsent ein wenig lieblos verpackt, weswegen es dann auch so ungern entgegengenommen wird. Auch eine neuere, ziemlich polemische Auseinandersetzung mit unserem Text „Über die Bedingungen, unter denen wir kämpfen“ fällt in diese Kategorie: die Broschüre „Syndikalismus oder Plattformismus“, bei Syndikat-A erschienen als Auskopplung der Zeitschrift tsveyfl.
Beim Autor Frederik Fuß ist eine heftige Bitterkeit angesichts des Zustands der anarchistischen Bewegung zu erkennen. Schon der Begriff „Bewegung“ ist ihm zuviel des Guten. Dieser Frust hat durchaus relevante Gründe – bezüglich der dahingehenden Kritik in unserem Text scheint Konsens zu bestehen. Wir zweifeln nur leicht daran, dass er auf diese Weise Erfolg damit haben wird auch etwas an ihnen zu drehen.
Was uns angeht, sind wir trotzdem dankbar für den Input. Wir brauchen keine Harmonie und keinen (organisationsübergreifenden) Konsens in allen Fragen. Was kümmert uns schon die Verpackung… ist geschenkt.
Sehen wir darüber hinweg, finden sich durchaus einige bedenkenswerte Punkte, die dabei helfen können unsere Positionen inhaltlich besser zu beschreiben. Wie der Autor ja auch selbst anmerkt, war es nie unser Anspruch mit diesem ersten Text eine umfassende Welterklärung zu liefern – sondern eine Diskussionsgrundlage.
Mit Recht wird also auf einige Leerstellen in unserem Text hingewiesen: Etwa die bisher nicht ausformulierte Positionierung zum Antisemitismus – der nicht nur in Bezug zum Rechtsruck Erwähnung finden sollte. Solche Leerstellen gibt es im Text sogar noch einige mehr, die in Fuß Kritik nicht erwähnt werden. Das ist uns auch bewusst. Wir werden auch noch zu anderen, im Text zu kurz kommenden oder nicht erwähnten Unterdrückungs- und Herrschaftsverhältnissen klar Position beziehen.
Wie der gelungene Absatz über die Stärken des Plattformismus unterstreicht »ermöglicht der kollektive Prozess der Aushandlung der Begriffe den Einzelnen erst, die eigenen Gedanken und Vorstellung von und über die Welt in eine fruchtbare Beziehung zu denen anderer zu setzen, Dissens kann ausgetragen werden und muss nicht … unterdrückt werden.« Diesen Prozess haben wir bereits mit Erfolg begonnen, wie sowohl die Vielzahl positiver aber auch die negativen Reaktionen auf unseren Text zeigen.
Unterstellungen wie die, wir würden Kapitalismus oder Patriarchat als rein interpersonelle Herrschaftsverhältnisse begreifen, zeigen uns zumindest, dass wir diese Punkte und Zusammenhänge nochmal sorgfältiger und klarer formulieren sowie ausbauen müssen. Mit etwas Wohlwollen wäre eine andere Sichtweise aber durchaus auch aus unserem Text ableitbar gewesen: Mit den Sätzen »Im Zentrum der kapitalistischen Funktionsweise stehen also nicht die Bedürfnisse der Menschen, sondern das Erzielen von (möglichst hohem) Profit und Kapitalverwertung« und »Das Patriarchat ist das weltweit vorherrschende System der Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen« sollte klar werden, dass es uns nicht um verkürzte und personalisierte Herrschaftsverhältnisse geht.
Der Aussage, Geschlecht sei nicht sozial (also gesellschaftlich) konstruiert, sondern es sei »vielmehr… ein gesellschaftlicher Prozess, der Geschlecht erzeugt und durchsetzt«, stehen wir dann doch etwas rätselnd gegenüber. Aber natürlich gibt es auch materielle Grundlagen und emotionale, institutionelle und körperliche Einflüsse bezüglich „ideologischer Zurichtung«, keine Frage. Wir haben den Eindruck, diese in unserem Text auch zumindest teilweise durchaus anzusprechen. Aber auch hier gilt, das geht alles sicher noch klarer.
Es gibt auch bestätigende Passagen – etwa die Kritik an manchen gegenwärtigen (wenn auch von Fuß überzeichneten) Entwicklungen in der FAU, auf die unser Text in der Tat Antworten liefert: Etwa der Bezug auf einen klaren, anarchistischen Standpunkt bei der alltäglichen Gewerkschaftsarbeit oder der Vorschlag einer überregionalen Awareness-Struktur.
Dazu muss auch gesagt werden: Nicht wenige von uns sind in der FAU organisiert und beteiligen sich dort auch an internen Diskursen. Wir sehen unseren Ansatz und den des Anarchosyndikalismus nicht als Gegensätze sondern als gegenseitige Ergänzung und natürliche Geschwister.
Diese Einschätzung führt uns auch dazu die Variante des Plattformismus abzulehnen, die Frederik Fuß vertritt. Der daraus resultierende Vorwurf an uns ist ja der, wir seien nicht plattformistisch genug, bzw. synthethische Anarchist*innen im Plattformkostüm. Sie beinhaltet, auf Passagen der historischen Plattform von 1926 aufbauend, einen Alleinvertretungsanspruch und den Versuch eine Definitionsmacht über die anarchistische Bewegung zu erlangen. Das halten wir aus guten Gründen, die in unserem Text nachzulesen sind, weder für umsetzbar noch für wünschenswert. Ähnlich halten es auch viele gegenwärtige, plattformistische Organisationen, die ebenfalls keine „anarchistische Monokultur“ durchsetzen wollen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass wir – wie Fuß unterstellt – einen synthetischen Organisationsansatz haben. Unsere Organisation begründet sich auf der Einheit von Theorie&Praxis, Zielen&Strategien. Dies gilt für alle Mitgliedsgruppen und Mitglieder der plattform. Dieser Organisationsansatz sowie eine vielfältige, durchdachte und gesellschaftlich wirksame anarchistische Bewegung schließen sich nicht aus.
Daher widersprechen wir auch entschieden seinem Vorschlag, in die FAU zu gehen, um zu versuchen, sie zu einer Organisation nach plattformistischen Grundsätzen umzubauen. Ebenso wie wir der Einschätzung widersprechen, »mit der FAU ist bereits eine Organisation in Deutschland vorhanden, die einige Anforderung der Idee des Plattformismus erfüllt«. Die FAU hat mit ihren “Prinzipien und Grundlagen” von 2015 zwar eine sehr allgemein und kurz gehaltene theoretische Grundlage. Allerdings gibt es bei den einzelnen FAU-Syndikaten weder ein einheitliches Verständnis praktischer Aktivität, noch ein gemeinsames Verständnis von Strategien, um ihre Ziele zu erreichen (lässt man den Generalstreik mal außen vor).
Die FAU als anarchosyndikalistische Gewerkschaft hat einen klaren und richtigen gegenwärtigen Schwerpunkt im syndikalistischen Arbeitskampf auf anarchistischer Grundlage – der von Fuß geforderte strikte Anarchosyndikalismus der FAU (unter Berücksichtigung ihrer aktuellen Möglichkeiten) wird unserer Meinung nach erfüllt. Wir als plattformistische Ideenorganisation müssen uns nicht hauptsächlich auf Arbeitskämpfe beziehen, sondern können uns auch bei anderen gesellschaftlichen Kämpfen der lohnabhäniggen Klasse einbringen – kontinuierlich und als Hauptschwerpunkt unserer Organisation. Wir haben somit in der gegenwärtigen Situation einen breiter gefassten politischen Spielraum.
Um wieder auf Fuß Argumentation zurück zu kommen: Der Plattformismus hat sich nunmal seit seinem Gründungspapier vor bald 100 Jahren weiterentwickelt. Im Rückgriff auf seine lateinamerikanische Ausprägung, den Especifismo, müssen wir Fuß noch weiter enttäuschen: Wir wollen ja nicht nur mit Syndikalist*innen und synthetischen Anarchist*innen auf der praktischen Ebene zusammenarbeiten. Wir wollen rein in die Kräfteverhältnisse und sozialen Kämpfe – sprich: Wir werden, wo immer uns das strategisch gegeben erscheint, freudig mit Menschen zusammenarbeiten, die sich nicht mal als Anarchist*innen verstehen. Wer aus einem Anspruch plattformistischer Überlegenheit heraus allein schon in praktischer Kooperation die Synthese auf dem nächsten Level sieht, wird daran wohl ver-tsweyfl-n müssen. Wir dagegen sehen darin einen sinnigen Weg den Anarchismus aus Subkultur und Szene zurück in die politische Bedeutsamkeit zu holen.
Natürlich würde es uns freuen, wenn sich FAU oder auch FdA in Zukunft manche unserer Ansätze zu eigen machen würden. Aber wenn das einmal passiert, dann auf der Basis der Freiwilligkeit, der Einsicht in ihre Richtigkeit und nicht durch inneranarchistische Konfrontation und Verdrängung. Diese Strategie würde, selbst wenn sie erfolgsversprechend wäre – was sie absolut nicht ist – nur die Bewegung als Ganzes schwächen und entzweien.
Wir sind aber angetreten die anarchistische Bewegung zu stärken. Damit wir uns dafür entsprechend unserem aus Plattformismus und Especifismo abgeleiteten Ansatz effektiv aufstellen können, brauchen wir eine eigene Organisation. Das gilt auch für die – niemals ganz abgeschlossene – Entwicklung einer konsistenten, theoretischen Grundlage, einer verbindlichen Struktur, die eben nicht beliebig ist, und einer effektiven Praxis. „Fight where you stand“ ist dafür sicher ein wichtiger Grundsatz – nicht nur bezogen auf Arbeits-, sondern auch auf Mietenkämpfe, sozialrevolutionäre Wendungen von Identitätspolitiken oder Ökologie – aber nicht der einzige. Eine veränderte Wahrnehmung des Anarchismus muss auch nicht vor allem in einer „Szene“ durchgesetzt werden, sondern in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Ob das gelingen kann, wird sich in der Praxis erweisen sowie in deren Vermittlung.
Auch anderen Argumenten müssen wir Absagen erteilen.
Etwa die aus der Luft gegriffene Vermutung unsere Auffassung vom Nationalsozialismus sei an die verkürzte Faschismustheorie des Stalinisten Dimitroff angelehnt, nach der der Faschismus quasi nur eine Marionette bzw. besonders „konsequente“ Ausprägung“ des Finanzkapitals darstellt.
Auch hier müssen wir vielleicht noch einmal etwas klarstellen. Wenn wir davon sprechen, dass „der Faschismus als Ausweg des Kapitals in zugespitzten Krisenzeiten“ dienen kann, heißt das nicht platt „hinter dem Faschismus steht das Kapital“. Stattdessen bezeichnet dies den einfachen Fakt, dass Faschismus und Kapital in der Vergangenheit immer wieder gute Bündnispartner abgegeben haben und die nationalistisch wie kapitalistisch geprägte Konkurrenzgesellschaft leider gute Vorraussetzung für das Abrutschen in die faschistische Barbarei bietet. Das gilt auch für den aktuellen Rechtsruck, etwa für die Förderung der AfD durch Fraktionen aus der Wirtschaft.
Um das erkennen zu können müssen nicht unterschiedliche Phänomene in eins gesetzt werden. Auch wenn es uns um Faschismus allgemein ging: Die praktischen Bemühungen von Nationalsozialist*innen einer „negative Aufhebung des Kapitalverhältnisses“ waren im Vergleich zum Ausmaß ihrer praktischen Kollaboration mit Kapitalfraktionen großteils ideologischer Natur. Das große Gewicht auf völkisch-rassistische und eliminatorisch antisemitische Inhalte ist in der Tat ein wichtiges Distinktionsmerkmal des Nationalsozialismus im Vergleich zu vielen kapitalistischen Akteur*innen, und auch anderen faschistischen Bewegungen. Doch auch wenn kapitalistische Interessen im Nationalsozialismus teilweise und vor allem gegen Ende zugunsten unmittelbarerer Herrschafts- und Gewaltverhältnisse frustriert wurden, hatte auch das völkische Element historisch die Funktion Klassenantagonismen zu befrieden, abzuschwächen und sie aufzuheben und nicht ihre Ursache. Der Nationalsozialismus entfesselte den Klassenkampf von oben, ersetzte teilweise die Lohnarbeit wieder durch offene Sklaverei, nicht zu vergessen die barbarische, absolut entmenschlichende Zwangsarbeit in den Arbeits- und Konzentrationslagern, welche bis heute deutschen Unternehmen in der Weltmarktkonkurrenz den nötigen Vorteil bringt.
Genausowenig reduzieren wir keineswegs alle Migrant*innen auf Muslim*innen – es bleibt aber wichtig festzustellen, dass letztere für Teile der heutigen Rechten zu einem primären Feindbild geworden sind, die wiederum diese Reduktion durchaus vornimmt. Nicht nur auf Grund von „Neid und Bewunderung“, wie Fuß behauptet, sondern vor allem auch auf der Grundlage von antimuslimischem Rassismus, „Barbarendiskursen“ und einem Selbstverständnis als Gatekeeper einer christlich-abendländischen Hegemonie.
Dass rassistische Einstellungen in der Gesellschaft mit stärkerem Kontakt zu den Menschen, auf die sie sich beziehen, statistisch gesehen abnehmen, ist ganz gut belegt, ebenso wie strukturelle Unterschiede in urbanen und ländlichen Räumen. Von dem unterstellten Automatismus war bei uns ja auch keine Rede. Den Anreiz uns mit „Identitätsdiffusion“ als Grundlage rechter Einstellungen auseinander zu setzen, nehmen wir aber gerne auf.
Schade ist auch, dass Fuß uns vorwirft nicht konkret genug zu sein, etwa beim Anarchismusbegriff nur Plattitüden abzusondern, selbst aber oft in einer Wolke aus ebensolchen herumhantiert – nur mehr von akademischem Jargon geprägt. Das macht aber die fehlende Konkretisierungen der Kritik nicht wett. Dabei wäre es für uns gerade spannend gewesen zu erfahren, was genau er da noch vermisst oder vorschlägt. Anstatt selbst Antworten zu formulieren, verbleibt er leider oft in der reinen Negativität – was legitim ist, aber eben auch deutlich unspannender.
Im Gegensatz zum Autor halten wir die anarchistische Bewegung nicht für irrelevant. Sonst würden wir uns auch kaum in dem Maß in sie einbringen wollen. Im Gegenteil: Spätestens nach dem Niedergang des Realsozialismus sind einige anarchistische Inhalte in linken Basisbewegungen hegemonial geworden. Genauso greift in den sozialen Bewegungen zunehmend die Einsicht, dass sich Unterdrückungsverhältnisse gegenseitig stützen und intersektionell verwoben sind – der Anarchismus mit seiner erklärten Gegnerschaft nicht zu einer, sondern zu allen Formen der Herrschaft, bietet hier eine theoretische Grundlage an, auf der verschiedenste soziale Bewegungen zusammenfinden könnten. Leider hat es der organisierte Anarchismus aufgrund der von uns aufgezeigten Schwächen bisher nicht geschafft dieses große Potential zu nutzen. Wie haben „die plattform“ gegründet um dies zu ändern.
Trotz alledem nochmal – danke für die 32-seitige Broschüre – die unter anderem auch auf unseren Text Bezug nimmt. Wir haben sie teils durchaus mit großem Gewinn gelesen und freuen uns auch sehr darüber, dass wir die Diskussion um anarchistische Organisierung weiter befeuern konnten.
Tolle und sehr diplomatisch formulierte Antwort! 🙂
Solidarische und syndikalistische Grüße aus Cottbus!