In den letzten Wochen war ein Mitglied der plattform im Süden der BRD unterwegs und hat sich mit interessierten Personen aus Karlsruhe, Tübingen sowie Landshut getroffen. Ein persönlicher Reisebericht:
Vor einer dieser Reisen verspüre ich immer eine Mischung aus Vorfreude, Neugier und leichter Anspannung, was und wer mich erwarten wird. Die Städte Karlsruhe und Tübingen kenne ich immerhin ganz gut. In Landshut war ich allerdings noch nie. Immerhin: Alles hat bisher geklappt und ich wurde immer herzlich empfangen. Diese und ähnliche Gedanken gehen mir vor meiner letzten Reise durch den Kopf, während ich den Rucksack mit meinen persönlichen Sachen packe sowie die vorhandenen plattform-Infomaterialien zusammensuche. Auf gehts nach Niederbayern…
Auf der “anarchistischen Landkarte” fiel in der 70.000 Einwohner*innen großen Stadt nur die FAU-Sektion Landshut auf. Nach der herzlichen Begrüßung des verabredeten Gefährten erfuhr ich, dass diese als explizit anarchistisch-syndikalistische Organisation seit nun gerade einem Jahr besteht. Nach einem längeren Gespräch bei Tee und warmen Essen erkundeten wir gemeinsam die Stadt. In der insgesamt sehr sauber gehaltenen Stadt fielen mir immer wieder FAU-Aufkleber ins Auge.
Wir zogen weiter zu einem von der FAU-Sektion organisierten Filmabend. Der gezeigte Film spielt in einer südfranzösischen Kleinstadt Anfang des 20. Jahrhunderts. Er handelt vom gewerkschaftlichen Kampf der Textilarbeiter*innen gegen Ausbeutung, nationalistischer Spaltung und Patriarchat; aber auch die teilweise patriarchale Prägung der linken bis syndikalistischen Gewerkschaften wurde thematisiert. Ein sehenswerter Film, der Themen aufgreift, die leider nichts an ihrer Aktualität verloren haben. Nach dem Film und auf dem Heimweg kamen wir immer wieder auf den ein oder anderen Aspekt dieses vielschichtigen Films zu sprechen.
Bei meinem Besuch in der schwäbischen Universitätsstadt Tübingen machten wir in einer Kneipe mit Blick auf den Neckar halt. Dort hatten wir ausgiebig Gelegenheit über den Anarchismus allgemein und Fragen der Umsetzung zu diskutieren, aber auch über die Möglichkeiten Jetzt und Hier uns auszutauschen. Auf dem Weg zur Kneipe kamen wir am “Epple-Haus” vorbei, einem selbstverwalteten Jugendzentrum – eines der zahlreichen alternativ-subkulturell bis politisch genutzten Hausprojekte in Tübingen.
Seitdem vor ein paar Jahren das lokale FAU-Syndikat sowie das Anarchistische Netzwerk Tübingen ihre Auflösung verkündet haben, existieren in Tübingen unseres Wissens keine offen anarchistisch organisierten Gruppen mehr. Dennoch gibt es nicht wenige Anarchist*innen in der Stadt. Dies schlägt sich einerseits in vielen alternativen und subkulturellen (Wohn-)Projekten nieder. Andererseits gibt es immer wieder soziale Kämpfe in der beschaulichen Universitätsstadt – aktuell z.B. der Kampf gegen das sogenannte Cyber-Valley im Neckartal zwischen Stuttgart und Tübingen: Ein gemeinsames Projekt der Max-Planck-Gesellschaft, der Universitäten Stuttgart und Tübingen, des Landes Baden-Württemberg sowie privatwirtschaftlicher Konzerne wie Facebook, Bosch, Daimler, Porsche, BMW und das Rüstungsunternehmen ZF Friedrichshafen. Ziel ist es, die Region zwischen Stuttgart und Tübingen zu einem „Ökosystem“ für die Forschung zu Künstlicher Intelligenz zu entwickeln. Gegen diese Pläne regt sich Widerstand und es fanden schon erste öffentlichkeitswirksame Protestaktionen statt. So wurde unter anderem ein Gebäude der Uni Tübingen besetzt. Um das Projekt zu verhindern, wird jedoch stärkerer und kontinuierlicherer Widerstand notwendig sein.
In Karlsruhe hatte ich wie schon in den anderen Städten einen herzlichen, interessanten und aufschlussreichen Austausch. Schon auf dem Spaziergang vom Hauptbahnhof durch die Südstadt Richtung Innenstadt tauschten wir uns von persönlichem über Lokales in Karlsruhe bis hin zu politischen Themen intensiv aus. Die konstanteste anarchistische Organisation bildet die Libertäre Gruppe Karlsruhe, die seit 2009 besteht. Durch seit Jahren kontinuierliche Öffentlichkeits- und Pressearbeit hat sie sich einen Platz in der Lokalpresselandschaft erkämpft. Eine gut vorbereitete Intervention bei einer von Rechten geprägten “Gelbwestendemo” Anfang Februar kann hier als gelungenes Bespiel genannt werden, wie eigene Inhalte verbreitet werden können. Und gleichzeitig wurde eine sich im Vorfeld als “neutral” gebende Bewegung als das entlarvt, was sie war: ein Versuch von Rassist*innen und Faschist*innen Protestbewegungen für ihre Interessen auszunutzen. Leider gab es aber auch negative Neuigkeiten: So musste ein jahrelang genutztes soziales Zentrum vor Kurzem schließen. So machte ich mich mit gemischten Gefühlen auf den Heimweg.
Vielen Dank an alle Personen, die mich so herzlich aufgenommen haben und mit denen ich die Zeit verbringen konnte.